Verletzte Polizisten, Attacken auf Journalisten, angezündete Bahnanlagen: In Leipzig brach am Rande der Legida-Demonstration Gewalt aus. Warum eskalierte der Protest in der Messestadt? Ein Erklärungsversuch.
Berlin/Leipzig - Sie marschierten vorweg. Mehrere hundert Männer, dunkle Kapuzen über den Kopf gezogen, Sturmmasken vor dem Gesicht, die Markenzeichen ihrer Jacken hatten die Hooligans mit schwarzem Band abgeklebt.
Mehrere Vermummte brachen am Mittwochabend aus dem Zug der anti-islamischen Legida-Demonstration in Leipzig aus und hetzten Journalisten vor sich her. Mindestens ein Kameramann wurde getreten und bespuckt. Die Polizei, offenbar selbst überrascht von der Gewalt, stand erst ratlos daneben, bevor sie ein Spalier an Beamten mit Helm und Brustpanzer um die Hooligans zog.
Das Resultat des Abends in der Messestadt, bei dem rund 15.000 Menschen dem Legida-Aufruf folgten, ihnen gegenüber etwa 20.000 Gegen-Demonstranten: nach Polizeiangaben rund ein Dutzend verletzte Beamte, drei Personen landeten vorübergehend in Gewahrsam, etliche Journalisten wurden attackiert, Bahnanlagen angezündet, auch Mülltonnen und ein Auto brannten.
Der Schock ist groß am Tag danach. Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) äußert sich besorgt, ein hochrangiger Polizist aus Sachsen sagt: "Die massive Gewalt hat uns überrascht." Allerdings räumt er ein, dass es im Vorfeld bereits Anzeichen für eine Eskalation gegeben habe. Ordnungsamt und Legida-Anmelder rangen mehrere Tage um Datum und Route der Demo. Seit Ende vergangener Woche feststand, dass Legida auf den gestrigen Mittwoch verlegt werden würde, brach Nervosität aus.
Dass die Situation in Leipzig, anders als bei den bisherigen Pegida- und Gegen-Demonstrationen in Dresden, teilweise eskalierte, hat verschiedene Gründe:
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die Hooligans: "Die Hooligan-Szene von Lok Leipzig war gestern
beinahe komplett vertreten", sagt der Journalist und
Rechtsextremismus-Experte Olaf Sundermeyer, der am Abend in Leipzig
dabei war, so wie zuvor schon bei vielen Pegida-Demonstrationen in Dresden.
Viele Hooligans trugen Pullover mit Hogesa-Aufdruck: "Hooligans gegen
Salafisten" - unter diesem Motto waren Tausende im Herbst randalierend
durch die Kölner Innenstadt gezogen. Immer wieder dröhnte der Ruf
"Auugh, Auugh" durch Leipzig, ein Schlachtruf der Hooliganszene.
Die rechtextremen Hooligans wollten sich an diesem Abend nicht mehr verstecken. In Dresden bei Pegida waren auch schon viele von ihnen mitmarschiert, aber nie im Block und deshalb nie so präsent. Das von den Legida-Organisatoren angemahnte Vermummungsverbot war den Hooligans diesmal offensichtlich auch egal. Genau wie der Anti-Gewalt-Aufruf: Ab und an wollten sie nun auch mal zuschlagen. "In Dresden haben die rechten Hooligans eher ein bedrohliches Grummeln ausgestrahlt, in Leipzig waren sie kampfbereit", sagt Beobachter Sundermeyer.
- die gewaltbereite rechtsextremistische Szene in Leipzig: "In Leipzig haben Neonazis und rechtsextreme Hooligans schon in der Vergangenheit zusammengewirkt", heißt es aus der Spitze der sächsischen Polizei. "Das war auch jetzt wieder zu erkennen." In der zerfaserten rechten Szene sei diese Art der Kooperation nicht unbedingt selbstverständlich. Offenbar versuchten die betreffenden Gruppen aber gemeinsam, Einfluss auf Legida zu gewinnen. Wie stark ihre Position dort inzwischen sei, könne man noch nicht einschätzen, heißt es.
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die Legida-Kultur: Anders als in Dresden, wo sich die
Pegida-Organisatoren stets um einen friedlichen Auftritt der
Demonstranten bemühten, klang der Anti-Islam-Protest in Leipzig von
Beginn an schriller. Im Kern unterscheiden sich der Impetus und die
Forderungen von Pegida und Legida wenig, auch wenn man in Dresden nun
versucht, sich von der Organisation in Leipzig zu distanzieren. Aber der
Sound ist ein anderer. Das könnte die Hemmungen der rechtsextremen
Gewalttäter in der Messestadt deutlich gesenkt haben.
Dazu kommt: Auch wenn der bisherige Pegida-Frontmann Lutz Bachmann wegen fremdenfeindlicher Äußerungen gerade sein Amt niederlegt hat - die Legida-Macher sind allesamt höchst dubiose Figuren: Der Sprecher Jörg Hoyer wettert von der "sklavischen Ergebenheit gegenüber den Amerikanern" und betrieb der "Welt" zufolge früher Handel mit NS-Devotionalien. Von ihm stammte im Vorfeld auch die Fantasie-Zahl von 60.000 Teilnehmern. Notfalls stehe man in drei Wochen mit zwei Millionen vor dem Reichstag, tönte Hoyer. Gegen Mit-Organisator Silvio Rösler wurde schon wegen Schleuserei und Menschenhandel ermittelt, Legida-Anwalt Arndt Hohnstädter ist geschäftlich mit der NPD verbandelt und vertritt der "Welt" zufolge rechtsextreme Gewalttäter.
- die Zusammensetzung in Leipzig: Experte Sundermeyer sagt: "Legida ist viel jünger als Pegida - die in Dresden sehr starke Gruppe der über 60-Jährigen Demonstranten ist in Leipzig eher schwach vertreten." Das Verhältnis zwischen sogenannten bürgerlichen Demonstranten und Hooligans war also in der Landeshauptstadt ein ganz anderes, die Masse von Dresden verschluckte die Gewaltbereiten. In Leipzig dagegen dominierten die Hooligans mitunter das Bild.
- die gewaltbereiten Gegendemonstranten: Wenn es rund um Demonstrationen kracht, liegt das meist am gewaltbereiten Potenzial auf beiden Seiten. Das war in Leipzig anders als in Dresden gegeben. "In Leipzig gibt es eine starke linksautonome Szene", heißt es aus der Polizeiführung. Die stellte sich den rechtsextremen Hooligans am Mittwochabend sichtbar entgegen. "In Leipzig haben sich rechte und linke Gewaltbereite gegenseitig hochgeschaukelt", sagt Augenzeuge Sundermeyer. Und die Polizei war, trotz 4000 eingesetzter Beamter, damit offenbar teilweise überfordert.