"Was tun, wenn man sich minderwertig fühlt?"

Erstveröffentlicht: 
19.01.2015

In Leipzig versammeln sich 5000 Menschen zu einer Kundgebung gegen Pegida. Eine Wissenschaftlerin findet die emotionalsten Worte – sie vermutet indirekt, dass sich Pegida-Anhänger minderwertig fühlen.

 

"Legida läuft nicht" haben sich die Gegner des Leipziger Pegida-Ablegers als Überschrift ausgesucht. An diesem Montag traf dieses Motto in doppelter Hinsicht zu: Zum einen hatten die Veranstalter von Legida die ursprünglich für diesen Tag geplante Kundgebung in der Leipziger Innenstadt auf Mittwoch verlegt. Und zum anderen versammelten sich am Montagabend rund 5000 Leute zu einer Kundgebung unter dem Motto "Willkommen in Leipzig – Eine weltoffene Stadt der Vielfalt".

 

Zu der Demonstration aufgerufen hatten unter anderem Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD), die sieben Bürgermeister der Stadt und Thomaskantor Georg Christoph Biller sowie "Prinzen"-Sänger Sebastian Krumbiegel. Begonnen hatte es am Nachmittag mit dem Friedensgebet in der Nikolaikirche, das schon seit mehr als 30 Jahren jeden Montag abgehalten wird und das im Herbst 1989 Ausgangspunkt der historischen Montagsdemonstrationen war. Die anschließende Demonstration folgte der Route von 1989, zur Kundgebung fanden sich die 5000 Menschen auf dem Augustusplatz ein. Mit diesem Platz, der 1989 noch Karl-Marx-Platz hieß, sind die Montagsdemonstrationen verbunden, die seinerzeit entscheidend zur Friedlichen Revolution in der DDR beitrugen.

 

"Es ist wichtig, dass wir uns eindeutig wehren gegen die Vergiftung des Zusammenlebens durch Legida, die demaskierte Pegida", rief der frühere Pfarrer der Thomaskirche, Christian Wolff, der die Kundgebung offiziell angemeldet hatte. "Wir werden deutlich machen, dass wir in unserer Stadt keine Mauern bauen, sondern Mauern des Nichtverstehens niederreißen wollen." 

 

"Bitte bringt jeder zehn Leute mit"


Für Mittwoch hat Legida eine Demonstration ebenfalls auf der historischen Route über den Leipziger Innenstadtring von 1989 und eine Kundgebung ebenfalls auf dem Augustusplatz angemeldet. Die Stadtverwaltung will am Dienstag darüber informieren, ob und wenn ja mit welchen Auflagen die Legida-Demonstration genehmigt wird. Auf der Legida-Internetseite heißt es, dass mindestens 60.000 Teilnehmer erwartet werden und außerdem: "Wie am 9. Oktober 1989 werden wir damit eindrucksvoll zeigen, dass es an der Zeit ist, viele Dinge in unserem Land und in Europa zu ändern!" Als einer der Redner soll am Mittwoch der Journalist Jürgen Elsässer auftreten. Bei der ersten Legida-Demonstration am vergangenen Montag waren 4800 Teilnehmer gezählt worden – bei rund 30.000 Gegendemonstranten.

 

Pegida-Vorstand Lutz Bachmann hatte am Montag auf einer Pressekonferenz in Dresden dazu aufgefordert: "Ich kann nur alle Menschen dazu einladen, am Mittwoch zu Legida nach Leipzig zu fahren." Oberbürgermeister Jung rief hingegen am Montag auf dem Augustusplatz dazu auf, zu einer der zwölf für Mittwoch gegen Legida vorgesehenen Mahnwachen in Leipzig zu kommen: "Bitte bringt jeder noch zehn weitere Leute mit und zeigt, wofür ihr steht und zeigt Gesicht." Er verwies darauf, dass die Stadt Leipzig seiner Ansicht nach für Weltoffenheit steht, "das Ballett der Oper mit 38 Tänzern aus 23 Ländern, das Gewandhaus mit Kapellmeister Ricardo Chailly". 

 

"Über alles gibt es unterschiedliche Meinungen"


Die Rektorin der Universität Leipzig, Beate Schücking, sprach auf dem Augustusplatz davon, "dass wir nichts dringender brauchen als eine Willkommenskultur" und dass es "ganz klar" sei, dass die Hochschulen der Stadt für eine solche Willkommenskultur stünden. Die Rektorin der Leipziger Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur, Gesine Grande, fand die persönlichsten und emotionalsten Worte bei der Kundgebung. Sie, die in der DDR aufgewachsen und sozialisiert worden sei, sei 1989 mit über den Leipziger Ring gezogen. "In der DDR gab es nicht nur eine Meinung, sondern nur eine Wahrheit", erinnerte sie sich. "Alles was fremd war, musste passend gemacht werden."

 

Die ausgebildete Psychologin, die nach der Wiedervereinigung lange Zeit in Nordrhein-Westfalen gearbeitet hatte, berichtete davon, dass sie sich damals oft minderwertig und randständig gefühlt habe. "Was tut man, wenn man sich randständig und minderwertig fühlt?", fragte sie. "Man kann sich dogmatisch verbarrikadieren und keine anderen Meinungen zulassen." Diese Beschreibung war offensichtlich eine Charakterisierung vieler Anhänger von Pegida und Legida. "Wir müssen lernen, unterschiedliche Ansichten und Meinungen nicht als Feindschaft wahrzunehmen", forderte sie. "Denn über alles in der Welt gibt es unterschiedliche Meinungen."

 

Eine Bestätigung von Grandes Einschätzung gab es am Montag bei Pegida selbst: Nach der Sendung von Günther Jauch, in der am Sonntagabend der CDU-Politiker Jens Spahn versucht hatte, sachlich und argumentativ auf die Forderungen von Pegida zu reagieren, die Pegida-Vorstand Kathrin Oertel dort vorgetragen hatte, war auf der Pegida-Facebook-Seite lesen, dass Spahn vor "Aggression und Arroganz nur so strotzte".