Monatelang hatte sich die Pegida, diese merkwürdige Organisation aus Dresden, ein Schweigegelübde auferlegt. Mit der Presse, vor allem mit den Fernsehleuten, wollten die Wortführer dieser Bewegung nicht sprechen. Da werde doch sowieso alles verdreht, hieß es. "Lü-gen-pres-se, Lü-gen-pres-se!" pflegen viele Teilnehmer der Pegida-Veranstaltungen zu rufen. Das Feindbild schien intakt.Von Klaus Wallbaum
Gestern Abend nun die Wende - in doppelter Hinsicht. Erstens tritt als Pegida-Anführer nicht mehr der 42-jährige Lutz Bachmann in Erscheinung, ein gelernter Koch und Inhaber einer Werbeagentur aus Dresden, sondern die 36-jährige Wirtschaftsberaterin Kathrin Oertel. Zweitens folgt sie sogar einer Einladung ins Fernsehen, nämlich zur ARD-Talkshow "Günther Jauch" - und dann noch an einen Tisch mit rhetorischen Schwergewichten wie Wolfgang Thierse (SPD) und Jens Spahn (CDU). Was bedeutet das? Pegida will, angesichts der aktuellen Morddrohungen gegen Bachmann und der aufgeheizten Stimmung in Europa, eine Sympathie-Offensive starten. Denn Oertel gilt, im Vergleich zum kantigen Bachmann, als geschmeidiger und weniger reizbar.
Auf die Frage von Jauch "Wer sind Sie eigentlich?" bezeichnet sich 
Oertel als "eine ganz normale Frau aus dem Volk, freiberuflich, drei 
Kinder". Parteipolitisch sei sie nie gebunden gewesen. 
"Abendspaziergänger" seien die Pegida-Demonstranten, sagt sie und klingt
 ganz so, als wolle sie die Veranstaltungen verharmlosen. Als die Kurden
 in Hamburg, Celle und Dresden auf die Straße zogen und von Deutschland 
Waffen gegen den "Islamischen Staat" forderten, sei Pegida entstanden, 
sagt Oertel. Das klingt merkwürdig: Wurde die Bewegung gegen die 
Islamisierung gegründet, als Kurden in Deutschland gegen die 
Islamisierung aufbegehrten?
So passt nun der Auftritt von Oertel ganz ins Konzept der Pegida, das 
sich bei näherem Hinsehen als äußerst raffiniert erweist: Man gibt sich 
ganz friedlich. Es ist keineswegs so, dass in den vergangenen Wochen 
Montag für Montag rechtsextreme Dumpfbacken in die Dresdener Innenstadt 
gezogen waren und wild gehetzt hatten. Vielmehr verstanden es die 
Pegida-Organisatoren sehr geschickt, die Menschen einzuwickeln und zu 
locken.
Das Pegida-Prinzip funktioniert auf mehreren Ebenen. So treten die 
Anführer, gleich ob Bachmann oder Oertel, nicht als charismatische 
Führungsfiguren auf, sondern eher wie Moderatoren, die lediglich anderen
 - auch der Masse - das Wort überlassen. Bachmann brachte das einmal auf
 den Punkt, als er in einer Rede grundsätzlich die Bereitschaft zum 
Dialog mit den Politikern erklärte, dann aber einschränkte: "Zum 
Verhandeln habe ich von Euch doch gar keinen Auftrag erhalten."
Typisch für Pegida ist das Anknüpfen an die positiv besetzte Tradition 
der Montagsdemonstrationen von 1989: Bachmann gibt die Parole "Keine 
Gewalt" aus, betont die Überparteilichkeit der Bewegung und verbreitet 
den Ruf "Wir sind das Volk!" Damit entsteht bei vielen Teilnehmern das 
Gefühl, an einer guten Sache teilzuhaben. Politiker und Medienleute als 
Feindbild werden einfach aus der Endzeit der DDR auf die Gegenwart 
übertragen. Ein ausgeprägt bürgerliches Image kommt hinzu. Auf 
Pegida-Kundgebungen herrscht ein Alkoholverbot und ein Verbot, Flaschen 
mitzuführen.
Der Pegida-Forderungskatalog ist moderat. Die Pegida-Leute wissen, dass 
sie zuerst an ihren schriftlich formulierten Positionen gemessen werden -
 deshalb sind diese so abgefasst, dass sie kaum angreifbar sind. Sobald 
aber Redner bei Pegida-Kundgebungen auftreten, wird gehetzt - und zwar 
oft im spöttelden, ironischen Tonfall. Regelmäßig sind Medien und 
Politiker das Ziel, bevorzugt Politiker mit fremden Namen wie etwa der 
Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir. Ausführlich werden gern bekannte 
Zeitgenossen mit gutem Leumund zitiert, die sich kritisch über den Islam
 geäußert haben. So wurde jüngst ausführlich aus einem Buch des Berliner
 SPD-Politikers Heinz Buschkowsky vorgelesen, der die Schwierigkeiten 
bei der Integration von Türken in Neukölln dargestellt hatte.
Wer steckt nun hinter Pegida? Gut möglich ist, dass Bachmann und Oertel 
vorgeschoben sind. Als sich Bachmann jüngst über die Verulkung seiner 
Person in einer Satirezeitschrift ärgerte, schrieb er einen wütenden 
Internetkommentar. Der aber war dann binnen weniger Stunden verschwunden
 - so, als wenn Bachmanns Verhalten von einer höheren Instanz gelenkt 
worden wäre.
Und Oertel? Als Jauch sie fragt, ob sie etwas gegen Fremde habe, weist 
sie das zurück: Ausländerfeindlich sei Pegida nicht. Aber Asylbewerber, 
die mehrfach straffällig geworden sind, "gehören dann auch ausgewiesen",
 fordert sie. 
