Quer durch Zentrum und Südvorstadt (2): Eine späte Polizei und fünf Stunden im Kessel

Erstveröffentlicht: 
16.01.2015

Das Auffinden des getöteten Flüchtlings Kahlid B. und die anfängliche, falsche Einschätzung des Falles seitens der Dresdner Polizei heizt die Stimmung in Sachsen weiter an. Auch in Dresden kam es am gestrigen Abend zu Spontandemonstrationen: In Leipzig demonstrierten circa 700 Personen gegen Rassismus bei den Pegida- und Legida-Demonstrationen. Die Wut von einigen Demonstrationsteilnehmern entlud sich in Sachbeschädigungen an mehreren Gebäuden. Was anschließend ein teilweise fragwürdiges Vorgehen der Polizei rechtfertigen sollte. Ob diese dabei die Richtigen einkesselte, ist nach den L-IZ-Beobachtungen vor Ort äußerst fraglich.

 

Gegen 20:00 Uhr versammelten sich mehrere hundert Menschen an der Albertina. Ihr Wille wurde im Laufe des Abends durch die gerufenen Parolen klar: Gegen Rassismus und, als aktuellen Hauptvertreter dieser Erscheinung in Leipzig aus Sicht der Demonstranten, „Legida“. Somit liefen zunächst circa 500 Personen durch die Innenstadt von Leipzig: Am Bundesverwaltungsgericht vorbei, über den Martin-Luther-Ring zum Augustusplatz und über den Bayrischen Bahnhof. Mittlerweile angewachsen auf circa 700 Personen folgte man dann der Bernhard-Göring Straße, um unmittelbar auf das Amtsgericht zu treffen.

Einige wenige konnte ihrer Ohnmacht scheinbar nur noch Luft dadurch verschaffen, dass sie ein Polizeiauto mit Steinen angriffen, Mülltonnen auf die Straße zogen, diverse Sachbeschädigungen am Amtsgericht und auf dem Weg liegenden Banken verübten. Es waren diese Aktionen, die letztendlich für etwa 150 sehr wahrscheinlich andere Demonstranten unschöne Konsequenzen bis in die Nacht haben sollten. Und bereits auf der Demonstration selbst war es wegen der Gewalt zu Zwistigkeiten zwischen den Teilnehmern gekommen, viele hießen die Attacken auf die Gebäude und die Polizei nicht gut.

Von der Polizei selbst war lange größtenteils wenig bis gar nichts zu sehen. Erst über eine dreiviertel Stunde später waren erste Einheiten der Bereitschaftspolizei am Amtsgericht, worauf hin sich erste Auflösungserscheinungen der Demonstration bemerkbar machten. Nur ein Teil wich in Richtung August-Bebel-Straße aus und wurde schließlich durch wenige Einheiten in der Braustraße um 21:00 Uhr eingeschlossen.

 

Scheinbar sehr hastig wurden seitens der Polizei dazu bunt gewürfelte Einheiten zusammengezogen. Manche Beamte wurden aus vollbesetzten PKWs abgeladen. Andere erschienen in einem Mix aus normaler Kleidung und Kampfausrüstung. Der Personalnotstand schien in dieser Nacht groß gewesen zu sein. Nicht nur Einheiten aus Sachsen, sondern auch aus Sachsen-Anhalt und Brandenburg waren im Einsatz an der Braustraße, sogar Sondereinheiten stießen hinzu, als eigentlich schon alles vorbei war.

Eine erste Durchsage der Polizei, man suche Anmelder, sollte den eingeschlossen Rest der vormals rund 700 Demonstranten noch auf ein baldiges Ende hoffen lassen. Die Suche nach den Anmeldern stellte sich jedoch als eine Finte heraus: Einige Personen wurden ausgewählt und durch die Polizei auf einmal als Zeugen deklariert. Der Versammlung wurde im gleichen Atemzug Unfriedlichkeit attestiert, da bereits im Vorfeld Straftaten stattgefunden hatten. Ein Verweis auf die Aberkennung des Versammlungsrechts folgte gegenüber den 150 Personen im Kessel. Für die eingeschlossenen Personen sollte nun ein mehrstündiges Prozedere folgen, in der sie durchsucht, abfotografiert und ihre Handys konfisziert wurden.

Mehre anwesende Anwälte konnten nur durch hartnäckiges Insistieren zu ihren Mandanten durchdringen. Noch vor Ort bezeichnete ein Rechtsvertreter das Vorgehen der Handy-Beschlagnahmungen als unverhältnismäßig.

 

Nach Auskünften der Durchsuchten gegenüber L-IZ.de war sich die Polizei noch nicht einmal über den Vorwurf der Straftat sicher: Bei einigen hieß es einfacher für andere schwerer Landfriedensbruch. §125a Strafgesetzbuch sieht für den schweren Fall eine Haftstrafe von bis zu zehn Jahren vor. Über die vorgeworfenen Straftaten schienen auch einige Teilnehmer ehrlich überrascht, was wiederum den Verdacht nährt, dass die Beamten die Falschen erwischt haben. Denn bei der Auflösung des eigentlichen Demonstrationszuges hatten sich viele längst in andere Richtungen verstreut.

Die Maßnahmen für die Eingekesselten endeten schlussendlich gegen 2:30 Uhr am frühen Morgen. Einige Bewohner zeigten bis dahin ihre Unterstützung in Form lauter Musik, andere lieferten heißen Tee, Decken und Essen. Etwas, was in Anbetracht der Dauer und der eisigen Temperaturen, notwendig war. Die Beamten hingegen wurden durch angelieferte Essenspakete versorgt.

Seit heute Morgen nun überschlägt sich die sächsische Politik mit Statements, alle sind sich parteiübergreifend beim Thema „keine Gewalt“ offenkundig einig. Nur mancher scheint sich überhaupt nicht mehr zu fragen, was zu der auf immer mehr „Seiten“ dieses Konfliktes um Pegida und Legida auftretenden Ohnmacht geführt hat. Demonstranten, Gegendemonstranten, Flüchtlinge und auch die Polizeibeamten haben mehr verdient, als "eigentlich ist alles Bestens in Sachsen"-Sprüche der vergangenen Jahre bei der Anzahl von Lehrern, Polizeibeamten und Kitaerzieherinnen oder sinn- weil wirkungslose "Bürgerdialoge" ohne Konsequenzen. In einem Bundesland, wo selbst machtvolle Studentendemonstrationen gegen Kürzungsrunden in der Bildungslandschaft seit 2013 kein politisches Handeln mehr auslösen, die unzähligen Mahnungen bezüglich des Polizeirückbaus im Freistaat über Jahre ignoriert werden, bleibt irgendwann bei immer mehr Menschen vor allem Ohnmacht. Welche derzeit immer öfter in Wut kippt.

Dazu gleich mehr auf L-IZ.de

Zum Artikel vom 15. Januar 2015 auf L-IZ.de
Quer durch Zentrum und Südvorstadt: Randalieren, demonstrieren, kapitulieren

 

Der gestrige Abend aus Sicht der Polizei


Schwerer Landfriedensbruch aus Menschenmenge (Zeit: 15.01.2015, 20:15 Uhr)

Im Bereich Leipzig Zentrum formierten sich am Donnerstagabend mindestens 600 Personen zu einem Aufzug. Dieser zog vom Landgericht in der Harkortstraße über das Standesamt, Thomaskirchhof, Markt bis zum Augustusplatz. Bis dahin war der Zug noch weiter angewachsen. Auf dem bisherigen Weg zeigte der Zug stark kriminelle Gewalt. Es wurden aus der Menschenmenge heraus zahlreiche Schaufensterscheiben und Glasschaukästen beschädigt. Teilnehmer des Aufzuges rissen mehrere Verkehrszeichen aus der Verankerung, warfen diese auf die Straße und zündeten Feuerwerkskörper.

Als sich Polizeifahrzeuge näherten, wurden diese massiv von Vermummten mit Steinen beworfen. Verletzungen der Insassen nahmen die Steinwerfer offenbar in Kauf. Als sich der Zug weiter in Richtung Rossplatz bewegte, gingen nach Steinbewurf die Scheiben von einem Frisör-Geschäft am Dietrichring zu Bruch. Der Aufzug bewegte sich dann in Richtung Rossplatz zum Bayrischen Platz und weiter zum Amtsgericht in der Bernhard-Göring-Straße. Dort bewarfen die Teilnehmer Fenster des Gerichtes mit Steinen.

Vierzig Scheiben waren danach zerstört. Der Aufzug verlagerte sich weiter in Richtung in die Karl-Liebknecht-Straße. Die Polizei setzte dort ca. 200 Personen fest. Drei Personen wurden festgenommen - von allen Weiteren die Personalien erhoben. Im Bereich des Simsonplatzes stellte die Polizei zahlreiche Farbschriftzüge („das war Mord“, „Stoppt PEGIDA, „ANTIFA“, „Stoppt Deportation“) fest.

Drei Polizeifahrzeuge wurden stark beschädigt; eins davon völlig „entglast“. Das komplette Ausmaß der Schäden kann erst am Tag überblickt werden. Die Polizei ermittelt wegen schweren Landfriedensbruchs.

Nachtrag 16. Januar, 15:10 Uhr: Bei den vorläufigen Festgenommenen handelt es sich laut einer Korrekturmeldung der Polizeidirektion Leipzig nur um 2 und nicht um 3 Personen. Einen 26- jährigen Markkleeberger und einen 30 -jährigen Leipziger hätten demnach die Beamten am gestrigen Abend verhaftet.