Welches Land, welche Religion? Bürgermeister und Landräte wollen zügiger als bisher über Flüchtlinge Bescheid wissen
Von Winfried Mahr
Nossen. Die Kleinstadt im südlichen Kreis Meißen platzte gestern
aus allen Nähten. Drohende Überfremdung oder Islamisierung, wie manch
desorientierter Freizeit-Patriot reflexartig argwöhnen könnte, war in
Nossen mitnichten der Grund. Das Zentrum der 10800 Einwohner zählenden
Stadt war zugeparkt von Hunderten mehr oder minder bescheidenen Karossen
aus ganz Sachsen und Berlin, weil sich über 200 Bürgermeister, Landräte
und Minister im Ballhaus "Sachsenhof" ein Stelldichein gaben.
Deren Diskurse drehten sich um die bestmögliche
Asylbewerber-Unterbringung. Angesichts steigender Flüchtlingszahlen
"geht es nicht um das Ob, sondern das Wie", betonte Innenminister Markus
Ulbig (CDU) im Anschluss. Die Konferenz habe das klare Signal gegeben,
"den eingeschlagenen Weg zu gehen." Es müsse deutlich schneller als
bisher geklärt werden, wer Anspruch auf Asyl habe, um die Menschen dann
menschenwürdig integrieren zu können. Die zweite Seite der Medaille sei:
"Wer keinen Anspruch hat und unter keinerlei Schutzgebot fällt, ist
ausreisepflichtig", so Ulbig. "Und wenn dieser Ausreisepflicht nicht
nachgekommen wird, muss sie gegebenenfalls mit Zwangsmaßnahmen
durchgesetzt werden."
Von Natur aus deutlich moderatere Töne schlug Sachsens
Integrationsministerin Petra Kipping (SPD) an, die die Hilfe für
Flüchtlinge als "unsere gemeinsame Aufgabe" beschrieb, die durchaus
lösbar ist". Dabei lasse der Freistaat die Kommunen nicht allein.
Aufgrund vereinbarter Aufteilungsschlüssel in den Landkreisen könne sich
aber auch "keiner mehr einfach wegducken".
Die Bürgermeister hätten ihre Probleme bei der Unterbringung der
Asylbewerber deutlich gemacht, sagte Christian Schramm (CDU),
Oberbürgermeister von Bautzen und Präsident des sächsischen Städte- und
Gemeindetages. Dabei nannte er vor allem die bisher zu kurze Zeitspanne
zwischen der Ankündigung, dass Asylbewerber untergebracht werden
müssten, und deren Eintreffen. Auch sei bei der Verteilung eine bessere
Mischung von Flüchtlingsfamilien und alleinstehenden Männern
wünschenswert. Zudem seien finanzielle Hilfen für die Gemeinden nötig,
die bisher nicht von der Investitionspauschale des Freistaates
profitierten, sagte Schramm. Landkreise und kreisfreie Städte erhalten
in diesem Jahr 18 Millionen Euro für Investitionen in die Unterbringung.
Der Vize-Chef des Landkreistages und Meißener Landrat Arndt Steinbach
(CDU) sagte, dass die Gemeinden früher und detaillierter über die
ankommenden Flüchtlinge informiert werden sollen. Allzu oft sei kurz vor
Ankunft der Flüchtlinge nur deren Namen übermittelt worden. "Wir
wussten nicht, ob es sich um Mann, Frau oder Kind handelt. Und schon gar
nicht, welcher Religion die Asylbewerber angehörten", beklagte er.
2014 wurden in Sachsens Erstaufnahmeeinrichtung 11786 neue Asylbewerber
registriert. Laut dem Innenministerium Ende November 14015 Asylbewerber
in Sachsen. Angesichts der bei Demonstrationen in Dresden und Leipzig
zutage getretenen Kritik und Verunsicherung bat Ministerin Köpping die
Oberhäupter der Kreise, Städte und Gemeinden, "dass Kommunen offensiver
in die Diskussion mit der Bevölkerung eintreten." Die Bürger wollten
klipp und klar wissen, was auf sie zukomme.
An der gestrigen Asylkonferenz nahmen auch Sachsens Ministerpräsident
Stanislaw Tillich, Bundesinnenminister Thomas de Maizière (beide CDU)
und der Chef des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Manfred
Schmidt, teil. Und als die mit ihren schwarzen Dienstwagen nach drei
Stunden mit Blaulicht aus der Stadt rollten, zog endlich wieder die
gewohnte Ruhe und Ordnung ein in den Gassen rings um das beschauliche
Nossener Schloss. Vorerst zumindest.
Ulbig will mit Spitzen von Pegida reden
Innenminister Markus Ulbig (CDU) will mit den Pegida-Organisatoren reden. Er sei zum Dialog bereit auf allen Ebenen, sagte er gestern in Nossen. Bisher hatte Ulbig dies nur mit Teilnehmern der wöchentlichen Demonstrationen der Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes gesucht. "Ich habe mich entschieden, die Vorbehalte beiseite zu stellen." Die Antwort zeige, "dass ich nicht mehr zwischen Anhängern und Organisatoren unterscheide".
Flüchtlinge sollen in Ex-KZ-Außenlager
Schwerte im Ruhrgebiet will Flüchtlinge auf dem Gelände einer ehemaligen Außenstelle des Konzentrationslagers Buchenwald unterbringen. 21 Asylbewerber sollen in einer alten Baracke unterkommen, die vor Jahren schon Flüchtlingen und zuletzt Künstlern als Domizil diente. Die Baracke sei aber erst in den fünfziger Jahren entstanden, erklärte gestern die Stadt. Das habe die Auswertung von Luftbildaufnahmen ergeben. Die Lagergebäude wurden zuvor abgerissen.