»Antifa ist doch prima«.Hamburger Verfassungsschutzchef bei Diskussion über den Neonaziterror und die Rolle der Geheimdienste

Erstveröffentlicht: 
15.12.2011

Organisiert von der Friedrich-Ebert-Stiftung fand am Dienstag abend im Lichtmess-Kino in Hamburg-Altona eine öffentliche und kostenfreie Veranstaltung zum Thema »Rechtsterrorismus in Deutschland« statt. In der Diskussionsrunde sollten sich der Hamburger Verfassungsschutzchef Manfred Murck, der als »Journalist und Rechtsextremismusexperte« angekündigte Andreas Speit sowie Kay Seligmann, Mitarbeiter des Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus in Hamburg über die »neuesten Erkenntnisse zum Fall Zwickauer Zelle, mögliche Versäumnisse des Verfassungsschutzes und Prävention gegen Rechtsextremismus« austauschen.

 

Der Veranstaltungsmoderator Frederic Werner eröffnete die Diskussion mit einem an die Wand geworfenen Cartoon: Er zeigt einen um die Straßenecke gehenden Bürger, der plötzlich mit einer Neonazischlägergang konfrontiert, entsetzt in der Sprechblase ausruft: »Oh, die Herren vom Verfassungsschutz!« Manfred Murck, der als Soziologe vor seinem Wechsel von der Polizeiführungsakademie in Hiltrup zum Verfassungsschutz nach Hamburg mit einem Buch über den Umgang der Polizei mit fremdenfeindlicher Gewalt in den frühen 90er Jahren hervorgetreten ist, äußerte direkt darauf angesprochen, daß er auch »schon witzigere Cartoons gesehen« habe. Nach diesem von Murck mit professioneller Beiläufigkeit erteilten Ablehnungsbescheid spielte die in diesem Cartoon deutlich zum Ausdruck gebrachte These von der Alimentierung der Neofaschisten durch die VS-Behörden für das folgende Gespräch keine Rolle mehr. Bei einschlägigen Medienberichten handele es sich lediglich um »Gerüchte«, für die es »keine Belege« gebe. Richtig sei vielmehr, daß die Zwickauer Terrorzelle den VS-Behörden »vom Radar« gegangen sei. Allerdings sei die Verbindung des Amtes für Verfassungsschutz in Erfurt zum »Thüringer Heimatschutz« aufklärungsbedürftig und die Bestallung von Tino Brandt als V-Mann ein »klarer Verstoß gegen die Regeln der V-Mann-Führung«.

Speit war mit dieser Betrachtung nicht einverstanden. Er verwies auf mindestens sechs V-Leute im Umfeld der Terrorzelle, von denen in den Medien die Rede sei. Auch habe das Landes­kriminalamt Thüringen erklärt, daß es mindestens einen V-Mann mit direktem Kontakt zur Zwickauer Zelle gegeben haben soll. Gleichwohl, so räumte Speit ein, werde in den Medien derzeit zu viel spekuliert.


Bezug nehmend auf seine Arbeitserfahrungen erklärte Seligmann, er frage sich oft, was der Verfassungsschutz eigentlich so treibe. Immer wieder mache er die Erfahrung, daß der Polizei bestimmte Konzerte von Neonazi-Rockbands völlig unbekannt seien, bis er, Seligmann, sie darauf aufmerksam mache. Murck konterte das mit der Bemerkung. »Aber das ist doch wunderbar, wenn sich Bürger wie Sie oder auch andere gegen die Bedrohung rechtsextremistischer Gewalt engagieren. Es geht doch um eine vernünftige Arbeitsteilung zwischen der Antifa und dem Verfassungsschutz«.

Am Ende der Veranstaltung wurde an Seligmann und Speit aus dem Publikum die Frage gestellt, welchen Platz und vor allem welche Perspektive sie für sich in dieser von Murck eröffneten »vernünftigen Arbeitsteilung zischen Antifa und VS« sehen, und, eine positive Antwort vorausgesetzt, was denn Antifagruppen, aber auch das Bündnis gegen Rechts in Weimar aktuell mit ihrer Forderung nach Auflösung der VS-Behörden falsch machten. Seligmann nahm weder zu der einen noch der anderen Frage Stellung. In seiner Antwort bezeichnete Speit die Forderung nach der Auflösung der VS-Behörden zwar als »sexy«, gleichwohl stehe jetzt erst einmal eine umfassende und transparente Aufarbeitung der Vorgänge um die VS-Behörden in Thüringen und Sachsen auf dem Programm.

Angesprochen auf den »Linksextremismus« in der Antifa erklärte Murck spontan: »Antifa ist doch prima!« Nicht so prima seien Einflüsse des »Marxismus-Leninismus wie wir ihn in der DDR hatten« oder auch »autonome Gewalt«. Derartige Phänomene müßten Beobachtungsprojekt der VS-Behörden bleiben.