»Wer gibt das vor?«.Wer etwas über Fußballfans wissen will, soll einfach den Verfassungsschutz fragen

Erstveröffentlicht: 
02.10.2014

Irgendwann im Januar des Jahres 2012 reist der nach eigenen Angaben »renommierte Fanforscher« Martin Thein von Köln nach Stuttgart, um die Ultragruppe »Commando Cannstatt« zu besuchen. Es läuft gut für den promovierten Politologen zu dieser Zeit. Kurz zuvor hatte die Universität Würzburg in einer Pressemitteilung die Gründung eines am Fachbereich Sportwissenschaften angesiedelten Institutes für Fankultur (IFF) bekanntgegeben. Es wird von Professor Harald Lange geleitet, der das Institut zusammen mit Jannis Linkelmann und Martin Thein gegründet hat. Um »eine Plattform für die empirische Forschung über Fankulturen im Fußball« zu schaffen, wie es in einer Presseerklärung der Uni hieß.


Als empirischer Forscher trinkt Martin Thein mit den Ultras des VfB Stuttgart Bier und unterhält sich. Alle sind sich sympathisch, und Thein ist keiner, der besonders kritisch nachfragen würde. Er möchte aber von den Fans wissen, wie denn ihr Verhältnis zur Polizei sei, und: »Wer gibt das vor, was erlaubt ist? Die Führungsfiguren?«.

Dieses Gespräch findet sich unter der Überschrift »Ultras hautnah!« abgedruckt in dem Sammelband »Ultras im Abseits? Porträt einer verwegenen Subkultur«, den Thein 2012 zusammen mit Jannis Linkelmann im Göttinger Verlag Die Werkstatt herausgegeben hat. Ursprünglich war eine in Deutschland einmalige Studie »aus dem Innenleben« von Ultragruppen geplant gewesen.

Letztlich haben aber in dem Sammelband Fanbeauftragte, Journalisten, Wissenschaftler und auch Polizisten das letzte Wort. Einer davon ist der von Thein und Linkelmann im Dezember 2011 interviewte Expolizist Helmut Spahn, der aus seiner Perspektive »die Entwicklung der Ultras und seine Erfahrungen im Umgang mit Fangruppen Revue passieren« läßt. Spahn war von 2006 bis 2011 Sicherheitsbeauftragter des DFB und wechselte dann nach Katar als Direktor eines Sicherheitsunternehmens namens »Internationales Zentrum für Sicherheit im Sport«. Und siehe, im März 2012 erklärte dieses Zentrum gemeinsam mit dem Würzburger Institut für Fankultur in Doha, man wolle »die Motivation und das Verhalten von Fans in aller Welt« erforschen, »um die Ursachen von Gewalttätigkeit und Hooligantum bei internationalen Sportereignissen zu ergründen und mögliche Präventivmaßnahmen gegen solches Verhalten bei Sportveranstaltungen zu entwickeln«. Ein derartiges Forschungsvorhaben solle der »Erlangung und Weitergabe von Wissen auf dem Gebiet der Sicherheit im Sport« dienen.


Auf diesem Gebiet kennt sich Thein aus, schließlich ist er »ein Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz«, wie Stefan Aust und Dirk Laabs in ihrem Buch »Heimatschutz« schreiben, das im Mai herausgekommen ist. Dort steht auch, daß Thein in den 90er Jahren als V-Mann-Führer direkt in die Strukturen des NSU einbezogen war.

Mittlerweile wurde diese Enthüllung von zwei Fernsehdokumentationen, die von WDR und 3sat gezeigt wurden, aufgegriffen. Und auch die Linkspartei hat in Sachen Thein eine kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt. Seitdem ist Thein für niemanden mehr zu sprechen.

Vom Institut für Fankultur gibt es zu seinem Fall bislang zwei Stellungnahmen. In der ersten warnte der Leiter Professor Lange vor »Pauschalisierungen, Alltagstheorien, Vorurteilen und sogar Verschwörungstheorien«. Gerade weil er die »wissenschaftlichen Leistungen von Herrn Dr. Thein und die von ihm ausgehenden Impulse für die Fankulturforschung« sehr schätze, sei er »im vorliegenden Kontext an einer faktenbasierten Erörterung interessiert«.

Ende August schob der IFF-Mitarbeiter Gabriel Dutt­ler zu der Causa Thein eine zweite Stellungnahme nach. Darin wurde der Mitbegründer des Institutes kurzerhand zu einem »ehrenamtlichen Mitarbeiter« heruntergestuft. Und der habe gerade einmal in dessen Gründungszeit »eine Rolle« gespielt, bevor er – so eine weitere diffuse Formulierung – »uns Richtung Universität Hannover in das Umfeld der Forschungsgruppe um Gunter Pilz« verlassen habe. Immerhin distanziert sich das IFF »von einer pauschalen Kriminalisierung von Fußballfans und sieht in diesem gesellschaftlichen Feld keinen verfassungsschutzrechtlichen Handlungsbedarf«. Für die Zukunft wurde »eine transparente und faktenbezogene Aufarbeitung der Thematik« begrüßt, auch wenn im Fall von Thein davon keine Rede sein kann.

Eher gewinnt man den Eindruck, hier geht es um eine gezielte Vermischung von Forschungs-, Sozial- und Polizeiarbeit, also um eine differenzierte Kriminalisierung von Fußballfans.