Einige Worte zur Silvesternacht in München

do not question authority

Das Vorhinein...

Vor einiger Zeit entstand zwischen einigen verstreuten Individuen in München die Idee den inzwischen recht weitverbreiteten Silvesterspaziergang zum Knast mit einer frühzeitigen Intervention im Stadtviertel Giesing, in dem sich der Knast Stadelheim befindet, zu verbinden und so den Versuch zu unternehmen, dieses Datum nicht getrennt vom restlichen Jahr und der alltäglichen Routine zu behandeln. Vielmehr war die Überlegung, in genau dieser alltäglichen Tristesse die eigene Kritik an jeglicher Form der Unterdrückung und im speziellen am Gefängnis mittels diverser Mittel zu kommunizieren und auf unterschiedlichste Art und Weise auf die Straße zu tragen.

 

Die Konzentration auf einen gewissen Raum ermöglichte nicht nur eine verstärkte Kontinuität und augenscheinliche Präsenz der eigenen Praxis auf der Straße, sondern auch die Verknüpfung von vielseitigen und kreativen Mitteln und unterschiedlichen Kommunikationsformen. Um genau diese unspektakuläre, direkte und konkrete Präsenz, eine Form von Ansprechbarkeit und Vertrautheit, die der Nährboden zur sozialen Verbreitung von Ideen ist, zu erzeugen, wurden im Besonderen lokale Entwicklungen wie bspw. die voranschreitende Aufrüstung des Münchner Justizapparates und die sich ausbreitende Aufwertung von Wohnvierteln zum Anlass genommen, die eigene Kritik und Möglichkeiten des Kampfes aufzuzeigen. Gerade der Versuch nicht ständig irgendeine x-beliebige Thematik anzuschneiden oder hier und da von Zeit zu Zeit vorbeizuschneien, sondern sich für eine bestimmte Zeit intensiv und konzentriert mit einem Konflikt zu beschäftigen, stellt die eigene Kreativität, sowie die eigene Kraft und Fähigkeit die von einem vorgeschlagenen Methoden zu vermitteln, auf die Probe.


Wenn man sich nicht als politischer Erlöser gebärdet, sondern stets die Rolle von Eigeninitiative und Selbstorganisation betont, kann man angesichts der bestehenden sozialen Apathie keine einem zustimmende Masse erwarten. Jedoch konnte man sich von Zeit zu Zeit wundern, wie viel doch von Leuten wahrgenommen, verstanden und in Verbindung gebracht wird. So kann man sagen, dass man mehr und mehr das Gefühl hatte, dass Leute wussten, wer man ist und was man will, und die Reaktionen dementsprechend zwischen Euphorie und Abneigung polarisierten.


Lange Rede, kurzer Sinn: Um herauszufinden, ob man wirklich fähig war irgendetwas in Köpfen und Gliedern der Leute anzustoßen, machte man sich auf um wenige Wochen vor Silvester die frohe Botschaft zu verkünden, dass man sich auch dieses Jahr vor Stadelheim versammeln wollte um ein Zeichen von Solidarität und für die Freiheit aller zu setzen. Tausende Plakate, Aufkleber und Flugblätter im Stadtgebiet kündigten dies öffentlich an und da ja ein solcher Aufruf für eine unangemeldete Versammlung in den bayrischen Landen eine ziemliche Seltenheit ist, durfte man auch recht gespannt sein.

 

Der Abend...


Und was sich um kurz vor 24 Uhr an der recht kargen Stadelheimerstraße für ein Szenario darbot, war ebenso eine Seltenheit: In allen Nebenstraßen vom Männer- und U-Hafttrakt bis zum Frauen- und Jugendknast parkten Streifen, die Stadelheimerstraße selbst patrouillierten ständig Streifenwagen, hinter den geparkten Autoreihen verschanzten sich USK'ler-Horden, die von massenweise und sich überall rumtümmelnden Zivi-Schweinen, die sich teils mit Sektgläsern, Raketen und Handycams bewaffnet hatten, dirigiert wurden und die Knastmauern selbst wurden von den Scheinwerfern der Wärtertürme angestrahlt. Ein durchgeplantes Szenario, bei dem es jedem Spaziergänger mit delinquenten Neigungen kalt den Rücken herunter laufen dürfte. Zudem recht unübersichtlich, da die Straßenbeleuchtung teilweise nicht zu funktionieren schien. Die Leute, die nicht augenblicklich kehrt machten, konnten zwar trotz alledem mittels in Richtung von Knast und Bullerei abgefeuerten Raketen, Böllern und Rauch deutlich machen, wer hier mit ehrlichen Intensionen ankam, doch der nächtlichen Ingewahrsamnahme von zwei Personen zur weiteren Gefahrenabwehr konnte angesichts der aufgebotenen Übermacht in dieser Situation nichts handfestes entgegengesetzt werden.

 

Und nu?

 

An sich alles nichts Überraschendes im Freistaat. Natürlich war Ähnliches zu erwarten. Natürlich darf man sein Handeln nicht von dem der Bullen dirigieren lassen und natürlich wird man ihr aufgebotenes Spektakel niemals mit einem Gegenspektakel überbieten können. Trotzdem war dies mal wieder eine Inszenierung und vorbeugende Unterdrückung jeglicher solidarischer Geste, die recht beeindruckend war. So weit so gut, die einen Überstunden, die anderen eiskalte Nächte bei fußtiefem Neuschnee. War's das wert?


Das, was sich in den letzten Wochen und Monaten des vergangenen Jahres entwickelt hat, lässt sich sicherlich nicht mit einem einzigen miesen Ereignis und einem großen Bullenaufgebot hinwegwischen als wäre es nie dagewesen und war sicherlich nicht einfach ein fehlgeschlagenes Experiment. Es war ein Versuch, der reflektiert und diskutiert werden muss um die Elemente, Erfahrungen und neu entstandenen Beziehungen herauszulesen, an denen man festhalten und die man fortspinnen will. Was dabei ohne Frage wichtig sein wird, ist sich auf die eigene Fantasie und Unberechenbarkeit zu besinnen, ohne welche man immer unterliegen wird. Denn es gibt keine zu befolgenden Traditionen, keine Zeit und keinen Ort an den man sich halten muss und erst recht keine Pauschallösungen oder Taktiken, die es wert wären, wiederholt zu werden.