// Für 1.000 ArbeiterInnen des Onlinehändlers sind die Verträge ausgelaufen. Doch einige protestieren dagegen. // Im brandenburgischen Brieselang, 40 Kilometer von Berlin entfernt, steht eine riesige Lagerhalle mitten in den Feldern. Auf der Fassade prangt das Logo des Onlinehändlers "Amazon". Doch von "blühenden Landschaften ist man auch hier noch weit entfernt. In dem Versandzentrum, das Ende 2013 eröffnete, haben vor einem Monat 1.250 Menschen mit befristeten Verträgen gearbeitet. Nur 35 von ihnen wurden entfristet. Nicht bloß Saisonkräfte sind von der Nichtverlängerung ihrer Verträge betroffen: Teilweise stehen Menschen, die seit über einem Jahr bei Amazon sind, plötzlich auf der Straße.
Nach dem 29. Dezember hatten 900 ArbeiterInnen keinen Job mehr. Zum 31. Januar läuft für weitere 120 der Vertrag aus, nach sechs Monaten ist für 165 Arbeitsende. Bei der Eröffnung des Standorts hatte das Unternehmen bis zu 1.000 langfristige Arbeitsplätze angekündigt. Doch heute – nach mehr als einem Jahr – haben nur 285 Beschäftigte einen unbefristeten Vertrag.
"Wir wollen bleiben" steht auf dem Rücken eines knallroten Polohemdes. Einige Beschäftigte wollen die Nichtverlängerung nicht hinnehmen und verteilen Flyer beim Schichtwechsel am Dienstagnachmittag. FunktionärInnen der Gewerkschaft ver.di sind genauso wie AktivistInnen des Amazon-Solikreises Berlin zur Unterstützung angereist.
"Es kann nicht sein, dass ein Unternehmen, das das Interesse seiner Beschäftigten an einer gesicherten Existenz mit Füßen tritt, durch die Jobcenter regelmäßig mit neuen Arbeitskräften versorgt wird", sagt die Landesfachbereichsleiterin Handel, Erika Ritter. Tatsächlich werden viele Arbeitskräfte an Amazon vermittelt – manchen drohen Sanktionen, wenn sie den Job ablehnen. Angaben dazu macht die Firma nicht.
"Wir sind seit über einem Jahr hier, wir haben das Zentrum mit aufgebaut" sagt eine Kollegin. "Uns wurde ein sicherer Arbeitsplatz versprochen, aber mein Vertrag läuft nur noch zwei Wochen." Sie will nicht namentlich zitiert werden. Noch hat sie die Hoffnung auf Verlängerung. Ob sie streiken würde, wenn die Gewerkschaft auch in Brieselang aufrufen würde? "Ja, sicher", sagt eine weitere Arbeiterin. Das sagen auch andere aus der Runde.
Die Befristungen seien mit der Drohung begründet worden, dass der Standort schließen könnte, hieß es aus Betriebsratskreisen. Auch aus anderen Standorten sind solche Drohungen bekannt. "Dadurch entsteht bei allen Mitarbeitern, auch den Festangestellten, eine riesige Angst", sagt ein anonymer Arbeiter. "Sie haben zwei neue Standorte in Polen eröffnet, um Druck auf die Arbeiter in Deutschland aufzubauen." Amazon beliefert auch den deutschen Markt durch neue Standorte in Polen und Tschechien.
Die Flyer und T-Shirts gegen Befristungen stoßen in der Belegschaft auf große Sympathie. Viele Kollegen tragen Aufkleber mit der Losung: "Solidarität mit den befristeten Kollegen und Kolleginnen." Auch manche Beschäftigte, die die Gewerkschaft ver.di ablehnen, wollten T-Shirts haben, sagte ein Aktivist.
In der Woche vor Weihnachten hatten bundesweit 2.700 Amazon-Beschäftigte für einen Tarifvertrag gestreikt. Trotzdem hatte das Unternehmen im Jahr 2014 sein bisher bestes Weihnachtsgeschäft in Deutschland – 20 Prozent mehr Bestellungen als im Vorjahr seien verschickt worden.
In Brieselang wurde noch nicht gestreikt, weil vier Fünftel der Belegschaft befristet war. Doch auch hier beginnt die Organisierung. Eine ver.di-Betriebsgruppe ist im Entstehen und erhielt bei den Betriebsratswahlen im Juni 2014 die meisten Stimmen. Drei Betriebsratsmitglieder sollen nun nicht verlängert werden. Auch das wollte Amazon nicht kommentieren. "Ein Angriff auf uns alle", heißt es dagegen aus der Betriebsgruppe.
Die Gewerkschaft will sich nun an die Brandenburger Landesregierung wenden. Außerdem wird der Solikreis eine Unterschriftenliste gegen Befristungen starten. Kurz nach dem Ende der Protestaktion in Brieselang wurde bekannt, dass Amazon-ArbeiterInnen in Leipzig während der Spätschicht aus dem laufenden Betrieb in den Streik getreten waren.
von Wladek Flakin, Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO)
eine kürzere Version dieses Artikels erschien im Neuen Deutschland am 14.1.
ein kurzer Bericht erschien auch in der jungen Welt am 14.1.