Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin, sehr geehrter Verwaltungsrat des Kulturforums Witten,
für Sonntag, den 22. März 2015, lädt der sogenannte Verein zur Förderung des politischen Dialogs zwischen 10.00 Uhr und 17.15 Uhr zum 1. Alternativen Wissenskongress NRW in den Wittener Saalbau ein.
Ursprünglich sollte der illustre Kongress von den fünf nordrhein-westfälischen Bezirksverbänden der Alternative für Deutschland veranstaltet werden. Nachdem die Bezirksverbände der AfD aufgrund öffentlichen Drucks und einer Distanzierung des um ein bürgerliches Image bemühten AfD-Bundessprechers Bernd Lucke Anfang November 2014 jedoch einen Rückzieher machten und nicht mehr öffentlich als Veranstalter des Kongresses auftreten werden, ist nun der Verein zur Förderung des politischen Dialogs in die Bresche gesprungen, dessen Vorsitzender sich allerdings bei genauer Betrachtung als Udo Hemmelgarn aus Harsewinkel entpuppt, welcher wiederum den AfD-Kreis- und Bezirksvorsitz der Stadt Gütersloh inne hat.
Die Ratsfraktion der Grünen hatte am 30. Oktober 2014 in dieser Sache schon einmal eine Anfrage an die Bürgermeisterin und das Kulturforum gestellt und darin erfragt, unter welchen Bedingungen eine Auflösung des Vertrages mit der AfD als Veranstalter möglich wäre und wie hoch eine etwaige Konventionalstrafe sei. Die Antwort des Kulturforums lässt sich so interpretieren, dass man bei einer Auflösung des Vertrages Schadensersatzforderungen seitens der Veranstalter fürchtet, man wolle die „Anfrage aber zum Anlass nehmen, die vertragliche Situation (…) eingehend zu untersuchen und im Verwaltungsrat Kulturforum Witten über die Ergebnisse und die weitere Entwicklung jeweils zeitnah (…) berichten.“ Ein solcher Bericht erfolgte vermutlich in der Sitzung des Verwaltungsrates am 9. Dezember 2014. Da seither nichts über eine Kündigung des Vertrages bekannt geworden ist, ist anzunehmen, dass das Kulturforum an seiner bisherigen Einschätzung festhält. Wir denken, dass man auf Grundlage der Satzung und Zwecksetzung des Kulturforums zu einer anderen Einschätzung hätte kommen müssen. Daher kontrastieren wir im Folgenden den Zweck des Wittener Kulturforums mit den Positionen der auf dem Kongress auftretenden Referenten.
Der Kongress trägt den Untertitel Demokratie in Gefahr – Wer regiert Deutschland? und wirbt auf seiner Homepage mit den Referenten Jürgen Elsässer, Karl Albrecht Schachtschneider, Eberhard Hamer und Andreas Popp.
Mit dem Journalisten und Chefredakteur des rechtspopulistischen Monatsmagazins Compact, Jürgen Elsässer, wurde der sicherlich einflussreichste Sprecher der deutschen Verschwörungstheoretiker-Szene eingeladen. Neben verschiedenen Rechtspopulisten die Compact immer wieder als Veröffentlichungsforum nutzen, bot Elsässer im Februar 2014 auch dem verurteilten Rechts-Terroristen Karl-Heinz Hoffmann ein Podium bei einem Compact-Streitgespräch zum Münchner Oktoberfestattentat 1980, bei dem 13 Menschen getötet wurden.
Nach den HoGeSa-Krawallen in Köln im Oktober 2014 schrieb Elsässer: „Es ist ein großer Schritt nach vorne, dass die Hools sich nicht mehr hauptsächlich gegenseitig verkloppen, sondern gemeinsam etwas für ihr Land tun wollen.“
Über PEGIDA äußert sich Elsässer: „PEGIDA verteidigt die Souveränität Deutschlands, so wie Assad die Souveränität Syriens verteidigt.“
Neben dieser Verharmlosung einer Koalition aus Nationalisten, Rechtsextremen und Rechtspopulisten auf der einen Seite und der eines brutalen, menschenverachtenden Systems das sich über alle gültigen Rechtskonventionen hinwegsetzt, auf der anderen Seite, verwendet Elsässer immer wieder tendenziell antisemitische Phrasen:
Diese latent antisemitischen Äußerungen finden sich, gepaart mit kryptisch antisemitischen Andeutungen ebenfalls bei einem weiteren Referenten des Kongresses: Jurist und Wirtschaftswissenschaftler Eberhard Hamer. Der ehemalige Hochschuldozent vertritt die These, dass die ominöse Ostküste für die Finanzkrise verantwortlich sei und eine Abschaffung der Demokratie vorbereiten würde. Er weist explizit darauf hin, dass zu den Gründungsmitgliedern der Federal Reserve Bank die Familie Rothschild gehörte und die FRB eine strippenziehende Spinne im Geflecht der internationalen Hochfinanz sei.
Gemeinsam mit den Theorien der weiteren Referenten, von denen Karl Albrecht Schachtschneider z. B. mehrmalige Auftritte bei der FPÖ, Pro NRW und NPD vorweisen kann und Andreas Popp prominenter Vertreter der These ist das Deutsche Reich sei von den Alliierten annektiert worden und die Bundesrepublik Deutschland somit kein souveräner Staat, entsteht ein Szenario, das die gezielte Abschaffung der Demokratie durch die Europäische Union, Medienmanipulation durch die deutsche Regierung, Steuerung des Finanzmarktes durch geheime Mächte und massive Beeinflussung der deutschen Staatsorgane durch die amerikanische Regierung (die lt. Elsässer zudem gemeinsam mit der israelischen Regierung den sog. Islamischen Staat (IS) finanziell unterstützen würde), in den Raum stellt.
Paradox erscheint uns als engagierten Bürgerinnen und Bürgern die konzeptionelle Umsetzung des Kulturforum Wittens, welches laut Satzung (PDF) als Aufgaben unter anderem die Bereitstellung demokratischer Bildungsangebote und die Sicherung einer qualifizierten Informationsbasis für die Bevölkerung durch die Stadt Witten übertragen bekommen hat. Der Verschwörungstheoretikerkongress, der selbst Lucke & Konsorten offenbar zu heiß war, widerspricht diesem Satzungszweck in eklatanter Weise.
Noch im November 2014 fand unter der Schirmherrschaft von Bürgermeisterin Sonja Leidemann die Eröffnung der Anne-Frank-Ausstellung statt, integriert in ein Rahmenprogramm, das zum Nachdenken und zum aktiven Einsatz für eine menschliche Gesellschaft anregen sollte. Ganze drei Monate später soll nun mit der Vermietung der Räumlichkeiten des Saalbaus durch das Kulturforum Witten, dessen Verwaltungsratvorsitzende Bürgermeisterin Sonja Leidemann ist, der Publikation antisemitischen, homophoben, rassistischen, ausländerfeindlichen, sexistischen und rechtspopulistischen Gedankenguts eine Plattform geboten werden. Wir sind irritiert und denken, dass die Folgen einer Multiplikation dieser komprimiert dargebotenen und wahllos miteinander verknüpften Inhalte nicht abzusehen sind!
In den Vertragsbestimmungen zur Vermietung des Saalbaues (PDF) ist unter § 17, Absatz 1 zu lesen, dass der Vermieter berechtigt ist … vom Vertrag zurückzutreten, insbesondere wenn … durch die Veranstaltung … eine Schädigung des Ansehens der Stadt erfolgt.
Auch wenn die notorisch in finanziellen Nöten steckende Stadt Witten und das mit einem aktuellen Liquiditätsengpass kämpfende Kulturforum jeden Cent wahrlich gebrauchen kann, fordern wir die Stadt Witten, die im Stadtrat vertretenen Parteien und alle verantwortungsbewussten Bürgerinnen und Bürger auf, alles dafür zu tun, dass der 1. Alternative Wissenskongress NRW nicht in Witten stattfinden wird und explizit das Kulturforum Witten, den Vertrag mit dem Verein zur Förderung des politischen Dialogs aufzulösen.
Mit freundlichen Grüßen
Soziokulturelles Zentrum Trotz Allem