2014: Am Knast wird nicht gefeiert – Nachträgliches zur Silvester-Demo in der ach so liberalen Karnevalshochburg Köln
Abgebrochen haben wir die Anti-Knast-Demo vom 31.12.14 an der JVA Köln-Ossendorf, obwohl noch eine Kundgebung anstand. Abgebrochen, wie schon im vergangenen Jahr. In beiden Fällen gab es Stress mit der Polizei. In beiden Fällen entfiel damit die Kontaktaufnahme mit Gefangenen in den U-Haft-Häusern der JVA. Zumindest, soweit es den Einsatz von Lautsprechern, Musik und Redebeiträgen betrifft.
Zum Hintergrund:
Seit über 2 Jahrzehnten gibt es angemeldete Silvester-Demos oder -Kundgebungen in Köln. Meistens verliefen sie ohne jegliche Probleme mit der Polizei. 2013 wurde zum ersten Mal das Abfeuern von Silvesterraketen "aus der Versammlung heraus" verboten. Und das, obwohl in der Karnevalsstadt Köln auch Silvester heftig und mit allem möglichen Klamauk gefeiert wird. Zum Beispiel sind Rheinbrücken vollgestopft mit Menschen, die das offizielle Feuerwerk sehen wollen, aber auch eigene Raketen abfeuern. In diesen "Versammlungen" stehen die Massen viel dicht gedrängter als die kleine Gruppe von 150 bis 250 Menschen, die bereit sind, sich an diesem Abend mit Gefangenen zu solidarisieren und gegen das Knastsystem zu demonstrieren. Vor der Knastmauer ist in all den Jahren ist auch kein Unfall mit Feuerwerkskörpern passiert. Trotzdem, 2013 stand das o.g. Verbot für uns überraschend in der Genehmigung.
Unser "Bündnis für Gesellschaft ohne Knäste" interpretierte das so, dass Demoteilnnehmer/innen halt etwas Abstand von den anderen nehmen sollten, z.B. eine Fahrbahnspur entfernt. So hatten wir es bei der Begrüßung auch den Versammelten verkündet. Doch dem Anmelder wurde sofort mitgeteilt, dass dies nicht die Interpretation der Polizei sei. Als dann während der Demo entlang der Knastmauer doch manche Raketen gezündet wurden, wurden wir mehrfach von der Polizei - die sich halt wie eine Horde von Kampfbullen verhielt - angehalten. Daraufhin wurden die Demoteilnehmer/innen von uns aufgefordert, ihre Raketen auf einem von Bäumen umgebenen Parkplatz etwas abseits der unbewohnten Straße abzufeuern. Aber das war wohl nur eine Ersatzbefriedigung für uns draußen. Denn die Gefangenen werden davon nichts mitbekommen haben. Dieser Ort ist zu weit entfernt vom nächstgelegenen Hafthaus. Und die in anderen Hafthäusern waren dabei sowieso außer Hör- und Sichtweite. Obwohl wir uns auf diese Notlösung eingelassen hatten, wurde uns auf dem Rückweg - die U-Haft-Häuser der Männer waren noch längst nicht erreicht - erneut der Weg versperrt. Angesichts solcher Kleinkrämerei und Willkür brachen wir damals mit Bedauern die Demo ab.
Solches sollte uns nicht wieder passieren. Wir wollten aber nicht gern auf Anmeldung verzichten, weil wir davon ausgingen, dass wir nur mit Verstärkern die Gefangenen erreichen können. Im alten Klingelpütz mitten in der Stadt war das noch anders. Da waren Sicht- und Rufkontakt möglich. Und das wurde das ganze Jahr über rege genutzt von Freund/inn/en und Familienmitgliedern der Gefangenen, sehr zum Missfallen der Knastbetreiber. Seit 1969 - mit der Inbetriebnahme des Neubaus in Ossendorf, relativ am Stadtrand - sorgte eine damals hochmoderne Isolationsarchitektur dafür, solches zu verhindern. Das ist deshalb auch ein ständiges Problem bei Solidaritätskundgebungen: Weitläufigkeit des Geländes, 18 Hafthäuser darauf verteilt, davon fast alle so niedrig, dass sie hinter der Mauer versteckt bleiben. Kein Rundgang direkt an der Mauer möglich, da dort schon Knast-Hoheitsbereich ist.. Ein "menschlicher Schutzwall" der Häuser drum herum wohnender Knastbediensteter bzw. unzugängliches Gelände in der Umgebung.
Vorbereitung für 2014:
Inhaltlich wollten wir im Demoaufruf und bei den Kundgebungen Solidarität der im Laufe des Jahres gegründeten Gefangenengewerkschaft GG/BO und Hinweise auf deren Existenz neben die langfristige Perspektive "Gesellschaft ohne Knäste" stellen. Denn die Selbstorganisation der Gefangenen gegen Arbeitsbedingungen und Spezialausbeutung "drinnen" erscheint uns im Hier und Jetzt als ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Dabei bedarf es der die Anerkennung dieser Etappenziele bei emanzipatorischen Kräften draußen - unter Druck und mit der Zeit dann auch bei den Betreiber/inne/n des Knastsystems. Klar, das kann auch zum bloßen Reformismus werden (wie in der deutschen Arbeiterbewegung nach dem 2. Weltkrieg). Aber in allem, was sich mit emanzipativen Zielen in Bewegung setzt, steckt die Chance von weiterer Politisierung und Befreiung. Und besondere Repression ermöglicht auch besondere Radikalisierungen.
Die Organisation wird von Justiz und Politik derzeit nicht als verhandlungswürdige Gewerkschaft anerkannt. (Wen wundert das? Arbeit im Knast wird ja bewusst nicht als Lohnarbeit inszeniert. Gefangenen wird kein "Arbeitnehmerstatus"zuerkannt. Sie leisten zwecks Resozialisierung - haha! - Zwangsarbeit, die als "Arbeitspflicht" tituliert wird.)
In NRW wird die Ausbreitung der Gefangenengewerkschaft besonders offensichtlich behindert. In der JVA Willich gibt es vergleichsweise viele Mitglieder. Und der dortige Sprecher bemüht sich um Kontakte zu anderen NRW-Knästen. Doch rigide Zensurmaßnahmen entziehen dem Sprecher Informations- und Propagandamaterial, mit dem er schon gewonnene und noch zu gewinnende Mitglieder versorgen könnte. In Köln-Ossendorf dürfte deshalb trotz einiger Bemühungen die Gefangenengewerkschaft kaum bekannt sein. Dies wollten wir bei unseren Kundgebungs-Haltepunkten etwas überwinden.
Hinsichtlich des Formellen hatten wir uns trotz der schlechten Erfahrungen von 2013 vorbehaltlich für erneute Anmeldung entschieden (s.o.). Für 2014 haben wir aber ausdrücklich angegeben, dass Silvesterraketen - wie sie im ganzen Stadtbereich und im Land an diesem Tag gestattet sind - als Grüße an die Gefangenen eine der Ausdrucksformen unserer Solidarisierung sein sollen. Nach Eingang einer Reaktion wollten wir unser weiteres Vorgehen planen.
Eine erste Besprechung des Anmelders mit Zuständigen bei der Polizei zeigte deutlich den Mangel an Bereitschaft der Staatsgewalt-Täter, die Demo wie von uns vorgesehen zuzulassen. Man berief sich darauf, es sei Gesetzeslage, dass der Einsatz der Raketen "aus einer Versammlung heraus" verboten werden müsse. Auch an Silvester! Wir ersparen Euch hier die juristischen Haarspaltereien. Auf den Hinweis, dass demzufolge all die Jahre vor 2013 dem Gesetz von den Ordnungshütern nicht entsprochen worden sei, wurde geantwortet, dann habe man sich halt in all den Jahren geirrt. Es war abzusehen, dass die Angelegenheit auf einen größeren Konflikt hinauslaufen könne, falls die Polizei auf ihrer Gesetzesinterpretation bestehen bleibe. Am 7.12. - nach der Demonstration gegen die Innenministerkonferenz, vor und bei der die Kölner Polizei gar nicht gut dastand - kam dann telefonisch eine Entwarnung aus dem Polizeipräsidium: Nach weiteren Überlegungen zum entsprechenden Gesetzestext sei man zu der Konsequenz gelangt, dass dieser auf unsere Kundgebung nicht anwendbar sei. Die Genehmigung werde kein Verbot der Silvesterraketen beinhalten. Allerdings solle zwecks Vermeidung möglicher Konfliktfälle auf verantwortlichen Umgang mit selbigen geachtet werden.
Der Silvester-Abend
Bei der Begrüßung der schätzungsweise wieder etwa 250 Teilnehmer/innen wurde - noch etwas außerhalb der Hörweite für Gefangene - das Ergebnis der Verhandlungen mitgeteilt. Verlesen wurden dann Grußworte des in Sicherungsverwahrung gefangengehaltenen Genossen Thomas Meyer-Falk, die sich besonders an die Aktiven draußen richteten. Der erste - und im Endeffekt leider einzige - Kundgebungshaltepunkt. befand sich vom Verwaltungsbau aus betrachtet beim ersten Strafhafthaus der Frauen mit Redebeiträgen zur Arbeit im Knast und der Gefangenengewerkschaft, einem kämpferischen in spanischer Sprache, einem weiteren auf Deutsch zu den kürzlich erfolgten Verhaftungen anarchistischer Genoss/inn/en in Spanien.
An zwei weiteren Frauen-Hafthäusern zogen wir mit gemeinsam skandierten Parolen, kurzen Grußworten in verschiedenen Sprachen und Musik vorbei.
Wir verzichteten auf den sonst üblichen weiten Weg zum Männer-Strafhafthaus. Dieses ist, so weit wir wissen, derzeit kaum belegt. Nicht, weil weniger Männer eingesperrt werden, sondern wegen organisatorischer Angelegenheiten (Umbau u.ä.). Wir machten also auf der Rochusstraße (Vorderfront der Knastanlage) kehrt, um zu den nach vorne gelegenen Häusern der U-Haft-Gefangenen zu gelangen.
Wir waren noch nicht einmal zurück an unserem Ausgangspunkt, Rektor-Klein-Straße, als wir von der Polizei blockiert wurden. Das dauerte lange. Unser Anmelder diskutierte unsichtbar für die meisten von uns an der Spitze der Demo lebhaft mit einigen Polizisten. Auf dem Demowagen waren wir desorientiert, was nun passiert ist und weiter passiert. Deshalb spielten wir nur laute Musik. Die Moderatorin sah sich nicht in der Lage, die Demoteilnehmer/innen und die Gefangenen (im nahen Frauen-Strafhaft-Haus) über die Situation zu informieren (Mea culpa, Selbstkritik, Scham über Reaktionsunfähigkeit).
Der Anmelder informierte dann, dass die Raketenabschüsse "aus der Versammlung heraus" zu beanstanden seien. Wir könnten nicht weiter, wenn das nicht unmittelbar aufhöre. Der Anmelder hatte sich aber geweigert, dieses als Aufforderung an die Demoteilnehmer/innen weiter zu geben, da die Vorverhandlungen zu einem anderen Ergebnis geführt hatten und es kein explizites Verbot gäbe. Wenn die Polizei die Rahmenbedingungen ändern wolle, erfordere das eine neue formelle Anordnung. Wir mussten noch einige Zeit auf die Einigung zwischen der Polizei vor Ort und ihrer Leitstelle warten. Dann erfolgte eine solche Anordnung. Für diesen Fall hatten wir zwischenzeitlich beschlossen die Demo aufzulösen.
Was wir noch tun konnten, war, unplanmäßig mit dem Lauti-LKW an unseren nur wenige Meter entfernten Ausgangspunkt zu fahren. Dort wollten wir denen, die in unserer Nähe blieben, noch Beiträge vortragen, die sich an die Aktiven draußen richten. Alle anderen konnten, da es ja keine Demo mehr gab, in kleinen Gruppen an den U-Haft-Häusern vorbei gehen und die Gefangenen, wenn sie wollten, mit Raketen grüßen.
Ein Teil der aufgelösten Demo blieb bei dieser Schlusskundgebung stehen. Ein Mitglied des Autonomen Knastprojekts fluchte ins Mikro, dass er auf seinen Redebeitrag verzichte, da dieser für die Gefangenen gedacht war. Eine andere vorgesehene Rednerin sagte uns Bescheid, dass auch sie auf ihre Rede über Klassenjustiz verzichte, weil auch bei dieser die Gefangenen die Adressaten waren. Verlesen wurde die Grußbotschaft von André Moussa Schmitz, dem Sprecher der Gefangenengewerkschaft in Willich und NRW. Der wäre zwar auch für die Gefangenen wichtig gewesen, hatte Solidarität einfordernd aber auch Relevanz für die Aktiven draußen. Ein Beitrag der Roten Hilfe befasste sich mit dem Rassismus deutscher Politik und Justiz, griff auch das PKK-Verbot und dessen strafrechtliche Folgen an.
Ein anderer Teil der aufgelösten Demonstration versuchte noch mit Raketen und Zurufen ohne Lautsprecher Kontakt zu U-Haft-Gefangenen herzustellen. Wie vielen dies gelungen ist, wissen wir nicht. Aber eine kleine Gruppe kam erfreut noch mal zurück und erzählte, dass Ihre Rufe offenbar gehört worden seien, sie auch Antwort bekommen hätten. Man habe sich gegenseitig ein möglichst Gutes Neues Jahr gewünscht.
Und jetzt zum persönlichen Feiern? Oh Scheiße!
Die Polizei hatte es ziemlich offensichtlich darauf abgesehen, den Abend trotz der vorzeitigen Demoauflösung nicht nur mit der Unzufriedenheit der Beteiligten, aber ansonsten friedlich enden zu lassen. Als die Teilnehmer/innen der Schlusskundgebung und einige von den U-Haft-Häusern Zurückgekehrte zur wenige Schritte entfernten Straßenbahn-Haltestelle strebten, waren mehrere Reihen von Polizisten in deren Nähe aufgestellt. Dann gab es ein Gerangel an einer Tür der eingefahrenen Straßenbahn. Weitere Polizisten und weitere Demoteilnehmer/innen rannten zum Ort einer offensichtlichen körperlichen Auseinandersetzung.
Die Lage war unübersichtlich. Man konnte sehen oder ahnen, dass an mehreren Stellen heimkehrwillige Demoteilnehmer von Polizei angegriffen bzw. herausgegriffen wurden. Was hatten sie „verbrochen“? Den Schal ein wenig zu weit ins Gesicht rutschen lassen? Zu normal mit Raketen gefeiert?
Am Rand dieser Auseinandersetzungen fanden wir einen Demoteilnehmer gekrümmt auf dem Boden liegend, mehrere Bullen auf ihm kniend bzw. ihn runter-drückend. Das war alles andere als sanft oder sogenannt "verhältnismäßig". Wir Umstehenden haben nur mit Worten unserer Empörung Ausdruck gegeben. Manche taten das auch mit Ironie. Für mehr.gab es auf unserer Seite kein Kräfteverhältnis. Nach einiger Zeit wurde der auf dem Boden Liegende mit Plastikhandschellen versehen und abgeführt. Weiteres konnte ich nicht genauer beobachten. Wahrscheinlich ist dem EA mehr bekannt. Anscheinend sind 3 Leute von uns in solcher Weise an der Heimfahrt gehindert.worden. Abtransportiert wurde aber meines Wissens niemand. Ein Großteil von uns hat noch gewartet, bis auch die Aufgegriffenen wieder gehen konnten. Dazu haben auch welche von uns beigetragen, die die Straßenbahn an der Abfahrt hinderten.
Die Staatsgewalt hat Vorwände gesucht, um uns Stress zu breiten. Unsere Demo war erbärmlich kurz. Und sie wurde die ganze Zeit gefilmt. Da wurde wohl Material gesammelt, um einige stigmatisieren zu können, die vielleicht Silvester feierten, wie das an allen anderen Orten in Köln möglich gewesen wäre, Sie wollten wohl ihre verquere Rechtsauffassung durchsetzen, dass so was in der Nähe der Knastmauer nicht zu dulden sei. Ich gebe zu, dass mich manche Böllerei während der wenigen Redebeiträge gestört hat. Eben weil es so schwer ist, Gefangene in Ossendorf akustisch zu erreichen. Und weil wir auch Inhalte rüber bringen wollten, nicht nur Raketengrüße. Aber gefährdet geworden ist wohl niemand. Warum sich also künstlich aufregen?
Doch aufregen!
Ja doch, aufregen müssen wir uns über die Logik der Ausgrenzung, die das Gefängnis-Unwesen beherrscht. Überall Sonderbedingungen, Verweigerung der auch nicht sehr weitreichenden Rechte in der sogenannten Demokratie. Sonderbedingungen der Bestimmung des Aufenthaltsortes, Sonder-Gewaltverhältnis, Sonder-Zensur und Sonder-Beschränkungen jeglicher Kommunikation, Sonderstatus bezüglich der Arbeit, Sonderbedingungen hinsichtlich der Koalitionsfreiheit. Dazu passt im konkreten Fall auch das Vorgehen der Kölner Polizei vor und während der Silvester-Demo: Sonderbehandlung von Menschen, die sich mit Gefangenen solidarisieren wollen. Sonderrepression gegenüber denen, die das Repressionssystem ablehnen. Naja, in anarchistisch-libertärer Tradition hören wir es mahnen: Traue nie dem Staat und seiner so genannten Ordnung!
Mit Freude haben wir gelesen, dass in Dortmund, Uelzen und in Freiburg unangemeldete Knastdemos mit ganz wenigen Teilnehmer/inne/n Kontakt zu Gefangenen herstellen konnten. Wahrscheinlich war das auch noch an mehreren anderen Orten möglich. Zugegeben wir sind auch ein wenig neidisch. Oder sind wir einfach bloß blöd? Es lebe die legitime Selbstorganisation drinnen und draußen. Für Gewerkschaftsfreiheit auch im Knast, gegen Zensur und Kommunikationsbehinderung, für Demonstrationsfreiheit. Und natürlich für Gesellschaft ohne Ausbeutung und Knäste.