Anne Franks Stiefschwester kommt nach Leipzig Jugendliche der Schule am Adler und der Neuen Nikolaischule recherchieren in Archiven / Verlegung am 21. März geplant
Von Angelika Raulien
Der Kölner Künstler Gunter Demnig will am 21. März in Leipzig erneut
Stolpersteine für hiesige Opfer des Nationalsozialismus verlegen.
Vorarbeit dafür leisten unter anderem zwei Projekte des
Erich-Zeigner-Hauses, die der Verein mit Schülern der Neuen
Nikolaischule und Jugendlichen der Schule am Adler am Wickel hat.
"Letzteren geht es um den Abschluss eine Projektes, über das die LVZ
schon oft berichtete. Es gilt der zehnköpfigen jüdischen Familie Rodoff
aus dem Waldstraßenviertel", erklärt Frank Kimmerle vom Verein. Nach der
Reichspogromnacht 1938 war es für sie in Leipzig gefährlich geworden,
Rosa und Chaim Rodoff beantragten für ihre acht Kinder und sich
Ausreise-Visa in die USA. "Pervers war dann, dass die Nazis lediglich
drei Visa erteilten, und die Eltern von ihren Kindern drei aussuchen
mussten, die ins sichere New York zu Verwandten emigrieren durften.
Letztlich entschieden sie sich für den einzigen Sohn Max und die
jüngsten Töchter Ruth und Miriam. Alle zurückgebliebenen Rodoffs indes
kamen schon bald darauf in Konzentrationslagern um", so Kimmerle. "Für
sie hatten wir mit der Schule am Adler bereits sieben Stolpersteine in
Leipzig organisiert. Doch gerade an diesem Beispiel wurde deutlich, wie
sehr auch Menschen, die die Nazizeit überlebt haben, Opfer waren. Auf
Max, Ruth und Miriam lastete fortan der Gedanke, ,dass sie ja nur noch
auf der Welt waren, weil alle anderen für sie starben'." Auf Demnigs
Initiative hin sollten auch solche Menschen mit einem der kleinen
Erinnerungsmale bedacht werden; soll es nun auch für Max, Ruth und
Miriam Rodoff je einen Stolperstein an der Pleiße geben. Dafür wollen
Schülerinnen der Schule am Adler ab 5. Januar nun erneut in die Spur
gehen und Spenden sammeln.
Bei dem anderen Vereinsprojekt geht es um das Gedenken an Ernst Lewek,
ab 1926 Pfarrer an der Leipziger Nikolaikirche. Weil sein Vater Jude
war, galt er den Nazis als "Nichtarier". Überdies gehörte er dem
"Pfarrer-Notbund" an, der dem Naziregime die Stirn bot. Notbund-Gründer
Pfarrer Martin Niemöller hatte sinnbildlich gemeint: "Als die Nazis die
Kommunisten holten, habe ich geschwiegen. Ich war ja kein Kommunist. Als
sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen. Ich war ja
kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich
geschwiegen. Ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es
keinen mehr, der protestieren konnte."
Am 31. März 1935 verhafteten die Nazis Ernst Lewek, steckten ihn für
einige Wochen ins KZ Sachsenburg. Er wurde von seinem Amt auch
suspendiert, konnte es 1936 zunächst wieder aufnehmen, durfte aber
endgültig ab 1938 nicht mehr als Pfarrer dienen. Der Grund diesmal - die
jüdische Abstammung. 1944 kam Lewek ins Arbeitslager Osterode im Harz,
musste da bis Kriegsende Zwangsarbeit in einem rüstungswichtigen Betrieb
leisten. 1946 durfte er dann wieder Pfarrer sein - in der Leipziger
Johannisgemeinde. Er starb 1953 an einem Herzleiden, das er sich in der
KZ-Haft zugezogen hatte, und hinterließ seine Frau Dorothea sowie sieben
Kinder.
"Seit Jahren gab es Bemühungen, auch ihn mit einem Stolperstein zu
würdigen", erzählt Kimmerle. "Der inzwischen verstorbene Pfarrer
Christian Führer sollte die Patenschaft übernehmen. Bei ihrer Recherche
im Archiv der Nikolaikirche fanden Schüler der Neuen Nikolaischule dafür
Belege." Nun halfen sie und das Erich-Zeigner-Haus dem Förderverein der
evangelischen Nikolaikirche, dieses Vorhaben umzusetzen. Jener
Stolperstein soll gleich der erste sein, der am 21. März um 10 Uhr
verlegt wird: auf dem Nikolaikirchhof, vorm Eingang zum Pfarrhaus, dem
letzten frei gewählten Wohnort Ernst Leweks.
"Die vielen Berichte über unsere Stolperstein-Projekte mit Jugendlichen in der LVZ haben den Weimarer Eckhaus Verlag auf uns aufmerksam gemacht. Er plant nun eine eigene Publikation dazu", erzählt Frank Kimmerle vom Erich-Zeigner-Haus-Verein. Zugleich beschere dieser Kontakt seinem Verein 2015 ein Highlight: "Eva Schloss, die Stiefschwester Anne Franks und selbst eine Überlebende des Holocaust, wird am 13. März um 18.30 Uhr bei uns in der Zschocherschen Straße 21 zu Gast sein", ist Kimmerle stolz.
Mit 15 war die österreichische Jüdin mit dem älteren Bruder und den
Eltern nach Auschwitz-Birkenau deportiert worden. Überlebt haben nur sie
und die Mutter.
Später heiratete diese den Vater von Anne Frank. Eva wurde sozusagen
postum Annes Stiefschwester - und sollte ihr Leben lang mit der
Erinnerung an die ermordete Anne konfrontiert werden, die viel zu jung
Opfer des nationalsozialistischen Rassenwahns geworden war.
Von Eva Schloss, heute 85 Jahre alt, erscheint in besagtem Weimarer
Verlag Anfang dieses Jahres das Buch "Amsterdam 11. Mai 1944. Das Ende
meiner Kindheit". Zur Leipziger Buchmesse will sie es vorstellen - nebst
Abstecher ins Erich-Zeigner-Haus! A. Rau.