Am 21. Dezember 2000 betrat einer der Täter des NSU ein kleines Lebensmittelgeschäft in der Probsteigasse. Er führte einen Weihnachtsgeschenkkorb mit sich und ließ diesen im Laden zurück, um angeblich Geld für den Einkauf im Laden zu holen. In dem Geschenkkorb befand sich eine Christstollendose, die einen Sprengsatz enthielt. Der Ladenbesitzer stellte den Korb zur Aufbewahrung in das Hinterzimmer des Ladens. Hier detonierte der Sprengsatz am 19. Januar 2001, als die damals 19 jährige Tochter des Ladenbesitzers die Dose öffnete. Sie erlitt schwerste Verbrennungen am Oberkörper und im Gesicht.
Die Ermittlungen konzentrierten sich auf einen herbeifantasierten
Racheakt aus dem Rotlichtmilieu. Die Familie hat einen
deutsch-iranischen Hintergrund, jedoch wurde ein rassistisch motivierter
Anschlag von der Kölner Polizei sofort und grundlos ausgeschlossen.
Stattdessen wurde auf Streitigkeiten mit einem Bauunternehmer mit
türkischem Migrationshintergrund verwiesen. Noch am Tattag nahm die
Kölner Polizei mit dem Verfassungsschutz (VS) Kontakt auf, wie später
bei der Aufarbeitung deutlich wurde. Die Verfassungsschutzbehörden
ermittelten jedoch einseitig und sammelten Informationen über die Opfer.
Hier ging es nicht um einen möglichen Abgleich mit anderen
rassistischen Anschlägen – die Betroffenen standen unter Verdacht. Und
das, obwohl einige Anhaltspunkte auf einen Anschlag von Neonazis
hinwiesen.
Heute, 14 Jahre später, wird der Nationalsozialistische Untergrund (NSU)
für die Tat verantwortlich gemacht. Bis heute ist ungeklärt, wie der
NSU auf das völlig unscheinbare Geschäft und dessen Inhaber aufmerksam
wurde, ob es lokale Helfer gab und wer den Geschenkkorb in dem Laden
abgestellt hatte. Daran, dass es sich um Uwe Mundlos oder Uwe Böhnhardt
gehandelt hat, bestehen ernsthafte Zweifel. Beschreibungen des Täters
von Mitgliedern der Familie passen nicht zu den beiden.
Auf dem rechten Auge blind
Nach dem Bekanntwerden der NSU-Mordserie Ende 2011 erkannten
Mitarbeiter*innen des Verfassungsschutzes eine Ähnlichkeit zwischen dem
damaligen Phantombild des Täters und einem Neonazi. Sie vermuteten den
Neonazi Johann Helfer aus Köln. Helfer war 1985 wegen eines Verstoßes
gegen das Sprengstoffgesetz verurteilt worden. Zudem besaß er Waffen und
war Mitglied einer Reservistengemeinschaft für Scharfschützen bei der
Bundeswehr. Die BKA-Ermittler*innen legten der Familie nach dem Anschlag
ein Foto von Helfer vor, das so unscharf war, dass keine Ähnlichkeit
mit dem Phantombild festzustellen war. Die Spur wurde nicht
weiterverfolgt. Der Vergleich, eins von Antifaschist*innen vorgelegten
Foto Helfers mit dem Phantombild, zeigt allerdings eine frappierende
Ähnlichkeit. Dass die Polizei der Spur trotzdem nicht weiter nachging,
lässt die Vermutung zu, dass sie ihr nicht nachgehen wollte. Dazu passt
das seit Jahren in der Neonaziszene kursierende Gerücht, Helfer sei ein
Spitzel des VS bzw. der Polizei.
Die Ermittlungsmethoden und die Ignoranz der Ermittler*innen gegenüber
möglichen rassistischen Tathintergründen des Anschlags in der
Probsteigasse ziehen sich wie ein roter Faden durch die Mordserie und
Bombenanschläge des NSU. Egal in welchem Bundesland und auf welcher
Ermittlungsebene: die Opfer wurden kriminalisiert, gleichzeitig wurden
Erkenntnissen über die Verbindung der Taten bewusst nicht nachgegangen.
Bis heute ist das Ausmaß der möglichen Verstrickung der Geheimdienste,
der Ermittlungsbehörden und Innenministerien ungeklärt. Eine Aufdeckung
wird so systematisch verhindert.
Rassistische Debatten und rechte Bürgermobs
Stattdessen mehren sich wieder rassistische Debatten um einen
angeblichen „Asylmissbrauch“ und „Armutseinwanderung“, die von großen
Teilen der Politik maßgeblich mitinitiiert und -getragen werden. In
mehreren deutschen Städten kommt es im Zuge der neu entfachten
Asyldebatte zu Zusammenschlüssen zwischen extremen Rechten und
Anwohner_innen. Gemeinsam hetzen sie gegen die Unterbringung von
Geflüchteten und es kommt zu Anschlägen auf Unterkünfte, die keine
gesellschaftliche und tagespolitische Reaktion nach sich ziehen.
Parallelen zur Asyldebatte und dem rassistischen Diskurs Anfang der 90er
Jahre, die in tödlichen Anschlägen gegen Menschen mit
Migrationshintergrund gipfelten, werden deutlich.
Weder Polizeibehörden, Geheimdienste noch die Bundesländer haben
personelle oder institutionelle Veränderungen vollzogen. Im Gegenteil.
Die Ausschreitungen von Hogesa in Köln zeigen, dass diese Einrichtungen
weiterhin auf dem rechten Auge blind sind, rechte Strukturen und deren
Taten verharmlosen und bewusst verkennen.
Wir möchten am 18. Januar 2015 (17:30 Uhr) mit einer Kundgebung
in der Probsteigasse an den rechtsterroristischen Anschlag erinnern.
Gleichzeitig aber auch weiterhin jene anklagen, die bis heute die
Aufklärung be- und verhindern. Wenn Erinnern Handeln heißt, muss die
Gesellschaft die (Mit-)Täter*innen auf persönlicher wie institutioneller
Ebene zur Verantwortung ziehen und den alltäglichen und strukturellen
Rassismus in den Fokus rücken.
Antifaschistische Koordnination Köln und Umland (AKKU)