Leipzig. Seit Wochen ziehen die selbst ernannten Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes (Pegida) durch Dresden und andere Städte, wenden sich gegen eine Überfremdung Deutschlands, kritisieren die Asyl- und Flüchtlingspolitik des Bundes, der Länder und Kommunen.
Im neuen Jahr wird der in Teilen rechtsextreme Protest
 Leipzig erreichen. Legida, der hiesige Ableger von Pegida, hat gerade 
für den 12. Januar eine erste Demonstration durchs Waldstraßenviertel 
angemeldet. Im LVZ-Interview spricht Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard
 Jung (SPD) über seine Sorgen, die Angst in der Bevölkerung und die 
Gegen-Bewegung.
LVZ: Wie denken Sie über Pegida/Legida?
 Burkhard Jung:
 Überall in Deutschland, auch in Leipzig, gibt es Menschen, denen vieles
 in ihrem Leben momentan undurchschaubar erscheint, sie sprachlos macht.
 Die Nachrichten aus aller Welt und dem eigenen Land münden in einem 
seltsamen Gefühl, ausgeliefert zu sein. Dann tauchen radikale 
Einpeitscher von rechts außen auf - vor allem in den sozialen 
Netzwerken, in denen wir die Entwicklung von Legida seit Wochen 
beobachten - und verbreiten Halbwahrheiten und Lügen. Sie verführen mit 
falschen Fakten auch die, die der sogenannten normalen Bevölkerung 
angehören. Mich besorgt die Entwicklung einer latenten 
Ausländerfeindlichkeit aus der Mitte unserer Gesellschaft schon länger, 
gerade aber ganz besonders.
 Seit wann beobachten Sie dieses Phänomen?
 Als es erstmals um den Bau der Ahmadiyya-Moschee in Gohlis ging, vor 
gut zwei Jahren also, habe ich in Leipzig etwas erlebt, was ich von 
unserer Stadt bis dato nicht kannte: eine ausgesprochene 
undifferenzierte Angst vor dem und manchmal sogar Hass auf den Islam. 
Pegida missbraucht die Angst der Menschen vor islamistischen 
Gewalttätern, wie begründet oder unbegründet sie auch sein mag. Sie 
missbraucht die Ängste vor dem Ausgeliefertsein. Sie missbraucht die 
generelle Unzufriedenheit und gefühlte Ungerechtigkeit, um gleich 
sämtliche Muslime, Asylbewerber und Flüchtlinge in Sippenhaft zu nehmen 
und deutschnational zu argumentieren nach dem Motto: "Jetzt sind wir mal
 dran."
 Und sie unterstellt der Politik, die 
Befindlichkeiten der einheimischen Bevölkerung beim Thema Zuwanderung 
nicht ernst zu nehmen. Haben Sie sich etwas vorzuwerfen?
 
Wir alle sollten uns und unser Tun regelmäßig hinterfragen. Das mache 
ich auch. Wenn es um die Unterbringung der Flüchtlinge in unserer Stadt 
und die Kommunikation mit der Bevölkerung geht, haben wir uns aber ganz 
bestimmt nichts vorzuwerfen. Wir sind sehr aktiv, transparent und offen 
auf die Menschen zugegangen. Wir haben in vielen Runden miteinander 
diskutiert und gesprochen. Und wir sind vielerorts letztlich auch auf 
Verständnis gestoßen. Spätestens mit Eröffnung der Heime haben sich die 
Wogen geglättet. Die jeweiligen Sozialarbeiter machen eine hervorragende
 Arbeit, es gibt Initiativen und Patenschaften in den Vierteln, die sich
 den Flüchtlingen zuwenden. Das ermutigt mich wieder.
 Mit wie vielen Teilnehmern rechnen Sie, wenn Legida am 12. Januar zum ersten Mal öffentlich in Erscheinung tritt?
 Schwer zu sagen. Die Kundgebung vor dem Sportforum ist für 3000 
Teilnehmer angemeldet worden. Von dort soll es durchs Waldstraßenviertel
 gehen. Die genaue Route muss aber mit der Versammlungsbehörde noch 
abgestimmt werden.
 Ein Gegen-Bündnis steht gleichfalls in den Startlöchern, plant einen Sternmarsch. Mit Ihnen an der Spitze?
 Ich bin auf jeden Fall dabei. Und ich freue mich darüber, dass sich 
Kirchen, Parteien, Gewerkschaften, Flüchtlingsvereine und andere Gruppen
 unserer Stadt zusammenschließen, um sich für das Recht auf Asyl, für 
eine Willkommenskultur auszusprechen. Ich bin sehr, sehr zuversichtlich,
 dass viele Tausend den demokratischen Protest unterstützen werden. 
Viele haben sofort reagiert, innerhalb weniger Tage gab es fünf 
Demo-Anmeldungen. Und in unseren evangelischen wie katholischen Kirchen 
wird am Heiligabend ein Aufruf zur Gründung einer ökumenischen 
Flüchtlingshilfe verlesen. Die Kirchen nehmen ihre Verantwortung ernst. 
Wir feiern jetzt Weihnachten. Maria und Josef mit dem kleinen Jesus 
waren frühe erste Asylsuchende. Sie suchten aus Angst vor Ermordung Asyl
 in Ägypten. Wer also, um auf Pegida und Legida zurückzukommen, das 
christliche Abendland retten will, der muss - ich betone - der muss 
Flüchtlinge aufnehmen und darf sie nicht wegschicken.
 In Dresden schallt der Slogan "Wir sind das Volk" durch die Straßen, wenn Pegida marschiert. Wie kommt das bei Ihnen an?
 Das tut geradezu weh. Der Ruf aus der Nikolaikirche, der Ruf der 
Leipziger Montagsdemonstranten von 1989 wird aufs Schlimmste 
missbraucht. Auch deshalb bin ich froh, dass sich ein breites Bündnis 
dem entgegenstellen will, dass es zunächst ein Friedensgebet in der 
Nikolaikirche geben wird. Das sind wir schon dem verstorbenen Christian 
Führer schuldig.
 Und doch ist da diese diffuse Angst vor 
Fremden. Dabei beträgt die Zahl der Einwohner mit Migrationshintergrund 
in Leipzig gerade mal zehn Prozent. Etwas weniger als die Hälfte dieser 
Menschen hat einen deutschen Pass. Worin sehen Sie die Gründe für diese 
Ablehnung?
 Dort, wo die wenigsten Ausländer leben, herrscht
 die größte Angst vor ihnen. Das ist wissenschaftlich belegt. Ein 
zweiter Grund ist die Demokratie-Erfahrung, die noch reifen muss. Eine 
demokratische Gesellschaft ist eine offene Gesellschaft. Diese Offenheit
 müssen wir wollen, müssen wir lernen auszuhalten. Das ist ein langer 
Prozess. Der betrifft aber nicht nur den Osten. An Demokratie-Erfahrung 
besteht in Deutschland insgesamt ein großer Bedarf. Sonst gäbe es Pegida
 nicht.
