Südvorstadt: Bauplanen vor die Fenster gehängt, obwohl gar nicht gearbeitet wird
Von Jens Rometsch
 In Leipzig flammt wieder eine Debatte auf, wie die Vertreibung von 
Mietern bei Gebäudesanierungen verhindert werden kann. Auslöser sind 
zwei Fälle in der Südvorstadt, bei denen monatelang nutzlose Bauplanen 
vor den Fenstern hingen. Die Bewohner hatten kaum noch Tageslicht - 
obwohl dort noch gar nicht gebaut wurde.
 Ähnliche Probleme gebe es schon seit Langem, berichtet Rechtsanwalt 
Patrice Castillo. "Ich arbeite seit 2008 auf dem Feld. Seitdem sind es 
acht bis zehn Häuser pro Jahr, bei denen sich Bewohner an mich wenden, 
weil sie der Eigentümer zum Auszug zwingen will." Die Verdrängung von 
Leuten mit kleinem Geldbeutel, um Luxussanierungen durchzusetzen, sei in
 Leipzig nichts Ungewöhnliches mehr. Oft gehe es um unsanierte 
Gründerzeithäuser, die von der kommunalen Leipziger Wohnungs- und 
Baugesellschaft (LWB) an private Investoren verkauft wurden, erklärt 
Castillo.
So sei es auch in der Bernhard-Göring-Straße 110 gewesen, die im März 
2013 von der LWB an die Deutsche Gesellschaft für Grundbesitz (DGG) 
wechselte. Ende Juli 2014 wurde an dem Gebäude eine blickdichte Bauplane
 hochgezogen, erzählt eine Mieterin, die ihren Namen nicht sagen will. 
Sie wohne seit drei Jahren mit ihrer kleinen Familie in dem Haus, zahle 
bei Ofenheizung etwa vier Euro Kaltmiete pro Quadratmeter. 
Seit dem Besitzerwechsel sei es trotz vieler Versuche nicht gelungen, 
einen Kontakt zum neuen Eigentümer zu finden. "Die Aushänge hatten weder
 Namen noch Adresse. Dort stand nur: 'der Eigentümer'. Bei der 
zuständigen Hausverwaltung erhielten wir auch nur vage Auskünfte oder 
abstruse Angebote - etwa die, dass jeder Mieter seine Wohnung für 300000
 bis 350000 Euro kaufen kann oder bei einem freiwilligen Umzug einen 
Tui-Reisegutschein erhält." Konkretes erfuhren die Mieter erst aus einem
 Exposé für Eigentumswohnungen im Internet. "Da war von meinen vier 
Wänden ein Teil abgetrennt, verlief ein Fahrstuhlschacht durch den 
Grundriss."
Erst kurz bevor die Bewohner Anfang November mit einem Kunstfest an ihrem Haus protestierten, wurde die Bauplane entfernt, entschuldigten sich die DGG-Chefs persönlich: Sie hätten von diesem voreiligen Handeln einer Baufirma nichts gewusst. Die Mieter mochten das nicht glauben - denn zuvor hing schon monatelang eine ebenfalls nutzlose Bauplane an der Scharnhorststraße 22. Dieses Haus hatte die LWB zeitgleich an denselben Investor verkauft. Inzwischen begannen dort die Arbeiten, zogen die Mieter aus (bei Abfindungen von 15000 bis 22000 Euro). Auch das sei in Leipzig nicht mehr ungewöhnlich, sagt Castillo.
Allerdings würden die meisten Betroffenen viel lieber zu für sie 
erschwinglichen Konditionen in dem angestammten Zuhause bleiben. Das 
gelinge viel zu selten, so der Anwalt. Spontan fällt ihm lediglich ein 
Beispiel in der Kochstraße 114 ein, wo einem Bewohner (nach langem 
Streit mit dem Investor Stadtbau AG) trotz Sanierung eine günstige Miete
 auf Lebenszeit festgeschrieben wurde. Sie entspricht den 
Wohnkostenerstattungen für Arbeitslosengeld-II-Bezieher.
Landtagsabgeordnete Juliane Nagel (Linke) fordert für solche Streitfälle
 nun ein Mediationsverfahren, wie es die Stadt erstmals bei der 
Holbeinstraße 28a in Plagwitz angeschoben hatte. Doch in diesem Fall 
warf der Mediator gerade das Handtuch, weil die Vorstellungen der sieben
 verbliebenen Mietparteien sowie des Investors KSW zu weit 
auseinanderlagen. Nach LVZ-Informationen wollte KSW insgesamt 50000 bis 
70000 Euro Abfindungen zahlen, die Gegenseite hielt 175000 bis 268000 
Euro für angemessen. Auch die Suche nach einem Ausweichobjekt 
scheiterte. Da die Nutzung der früheren Fabrik zu Wohnzwecken ab 13. 
Januar 2015 untersagt ist, wird wohl alles vor Gericht enden.
Ralf Moritz, der beim Investor DGG für die Bernhard-Göring-Straße 110 
zuständig ist, beteuert, dass dieses Unternehmen noch nie ernsthafte 
Probleme mit Mietern gehabt habe. "Zum Beispiel konnten wir 500 
Wohnungen in der Gartenstadt Hellerau in Dresden sanieren, ohne dass 
jemand wegziehen musste. In großen Anlagen ist es natürlich einfacher, 
die Bewohner während der Bauzeit umzusetzen." Das Vorhaben in der 
Bernhard-Göring-Straße 110 habe DGG vorläufig gestoppt, um gemeinsam mit
 den Mietern Lösungen zu suchen. "Klar ist aber auch, bei drei Euro 
Kaltmiete kann keiner solche Baudenkmäler sanieren."
