Erri De Luca - Interview mit Il Manifesto 6. September 2013

Erri De Luca: "Ich ein schlechter Lehrer? Ja, unbrauchbar für die Machtinstanzen" Das Interview mit Erri De Luca. "Den Tav zu sabotieren ist eine Notwendigkeit"

von Eleonora Martini

6. September 2013

 

"Den Tav im Susa Tal zu sabotieren ist richtig und notwendig". Der Schriftsteller Erri de Luca macht im Angesicht der angedrohten Anzeigen seitens der Gesellschaft LTF, die den Turin-Lyon Korridor errichten wird, keinen Schritt zurück.

 

 

Saboteur und glücklich damit. Revolutionär?

 


"Es gibt keine Revolution, die da zu machen, keine Macht, die da zu ergreifen wäre: man muss lediglich jenes Bauwerk verhindern".

 


Ein schlechter Lehrer?

 


"Man zeichnet mich mit einem Berufstitel aus, den ich nicht erworben habe. Ich habe nicht die Universität besucht, weshalb ich keine Lehrtätigkeit anstreben konnte. Wenn es aber darum geht, für jene etablierten Mächte schlecht zu sein, bin ich dabei. ich habe die Absicht, schlecht zu sein, ja unbrauchbar - für die Motive jener etablierten Mächte, die das Susa Tal belagern.

 


Waffen?

 


"Bisher haben Elemente des gewöhnlichen Widerstandes genügt, die bei jedem Eisenwarenhändler zu erwerben sind und sie werden weiter ausreichen".

 

 


Erri De Luca, dem die Jacke jeder Definition, sei es als Schriftsteller, als ehemaliger Arbeiter oder als ex Frontgestalt von Lotta Continua zu eng ist, ist nicht pauschal gegen alle "Großprojekte". Er ist lediglich gegen, oder besser "widerständig", und zwar nicht bloß vom häuslichen Wohnzimmer aus gegen jenes Loch durch das Gebirge, das in jenem Tal "die Erde, die Luft und das Wasser schändet".

 

 

 

Die Nachricht trifft ein, dass die mit der Realisierung der Hochgeschwindigkeitsteilstrecke Turin-Lyon betraute  Gesellschaft LTF in den kommenden Tagen gegen Sie Anzeige erstatten wird, weil sie behauptet haben, dass die Sabotageakte notwendig sind, um begreiflich zu machen, dass der TAV ein nutzloses und Schaden stiftendes Werk ist. Sind sie erschüttert?


Ich kenne mich mit Verfahrensprozeduren nicht aus, die Ankündigung der Anzeige ist jedenfalls eine lächerliche Sache, so als hätten sie sich geirrt: statt an die Rechtsabteilung haben sie sich an die Presse gewendet. Bei mir ist außer Werbung nichts eingegangen. Zeug, das des schlimmsten Italien würdig ist, dem Italien der Drohungen und Gerüchte. Ich warte, bis ich die Unterlagen in der Hand habe, um zu erfahren, worum es geht.

 

 

Befinden wir uns auf dem Höhepunkt des Prozesses der Dämonisierungt der Bewegung?


Eher des Diffamierungsprozesses, das die Märchen über die Terrorismusgefahr benutzt, um ein höheres Repressionsniveau zu erreichen. In jenem Tal besteht bereits ein Zustand der Belagerung, mit der Armee und Kontrollposten, die offensichtlich aber nicht mehr genügen, weshalb sie das Märchen mit dem Terrorismus erfinden, um die Militarisierung zu steigern. Sie führen die Beschlagnahme von Material aus dem Eisenwarenhandel an - Nägel, Bolzenschneider, Handschuhe - nicht aber die großen Mengen der im Susa Tal beschlagnahmten Computer. Der Computer ist heilig, man darf ihn nicht berühren, sie beschlagnahmen ihn aber. Wie bei uns, in den 70er Jahren, als sie uns die Vervielfältigungsmaschinen beschlagnahmten und dachten, sie könnten uns so mundtot machen.

 

 

Können Sie Ähnlichkeiten mit den Bewegungen aus jenen Zeiten erkennen?

 


Nein, nur von Seiten der Richterschaft, die den Wunsch hegt, sich in der selben Situation wie damals wiederzufinden. In Wirklichkeit ist der Kampf der Bewohner des Susa Tals aber eine zivile Auseinandersetzung, die Material aus dem Eisenwarenhandel verwendet, um symbolisch eine rechtswidrige Zaunanlage zu beschneiden. Das sind jene Zäune nämlich.

 


Viele haben sich mit ihnen und der "auf den Prinzipien der Gewaltfreiheit und des Widerstands gründenden" No Tav Bewegung solidarisiert. Der Grat zwischen Widerstand, Revolution und Gewalt ist jedoch schmal, und es kann immer denjenigen geben, der missverstehen könnte, glauben Sie nicht?


Es gibt keine Revolution, die man da machen müsste, keine Macht, die zu ergreifen wäre. Man muss lediglich dieses Bauwerk verhindern.

 

 

Koste es, was es wolle?

 
Den Menschen in jenem Tal kostet es jetzt schon dermaßen viel. Was Du von ihnen zu hören bekommt ist dennoch, dass sie nicht aufgeben werden, dass sie nicht nachgeben wollen, weil sie nicht über ein Ersatztal verfügen. Es ist der stärkste, einhelligste und dauerhafteste zivile Widerstand der letzten zwanzig Jahre. Das größte Demokratiebeispiel von Unten überhaupt. Sie kommen aus der ganzen Welt her, um es zu untersuchen.

 

 

Man könnte mit dem Nimby-Syndrom widersprechen - nicht in meinen Garten.

 
Überhaupt nicht. Bei mir zu Hause (De Luca lebt bei Rom, d. Ü.) könnte man sehr nützliche Großprojekte verwirklichen. Auf Sizilien durchbohren sie beispielsweise gerade einen Berg, bei Caltanissetta, und niemand hat dem etwas auszusetzen, weil es sich um ein offensichtlich sinnvolles Werk handelt. Dort handelt es sich stattdessen um ein Werk, das nicht nur Schaden bringt, sondern völlig nutzlos ist. Das war schon seit vielen Jahren ersichtlich, schon als sie fehlerhafte Prognosen über die Zunahme des Verkehrs erstellten.

 

 

Ähnlich wie im Fall des Korridors Genua Rotterdam, der mit dem bereits fertig gestellten Gotthardtunnel und der Schweiz, die Druck auf Italien ausübt, damit die Strecke vollendet wird, sehr viel nützlicher und nachhaltiger ist. Nicht alle Großprojekte sind also zu bekämpfen.

 
Große oder kleine Projekte - das interessiert mich  nicht. Ich wurde von einer Bevölkerung auf den Plan gerufen, die gegen die Schändung und die Verknechtung ihres Tals kämpft. Ein Projekt ist nur dann vertretbar, wenn es von den Bevölkerungen unterstützt wird. Ich unterstütze deren Motive. Als Militanter, tue ich es nicht von meiner Wohnstätte aus. Will man über Gewalt sprechen? Die militärische Besatzung, die ist Gewalt.

 

 

http://ilmanifesto.it/cattivo-maestro-io-si-inservibile-ai-poteri/