Protestsong
Im Sommer 1982 tritt Mercedes Sosa im ausverkauften Opernhaus von Buenos Aires auf. Die Zuschauer jubeln begeistert, als sie den Song »Solo le pido a Dios« anstimmt. Ihr Anti-Kriegs-Lied ist eine Protesthymne gegen die Militärdiktatur.
Im Frühjahr 1976 kehrt die dunkle Zeit nach Argentinien zurück.
 Am 24. März putscht sich das Militär an die Macht. General Jorge Rafael
 Videla übernimmt als Chef der Junta das Amt des Staatspräsidenten. 
Schon wenige Tage nach der Machtübernahme wird klar, dass diese 
Militärregierung gefährlicher ist als alle anderen, die Argentinien in 
seiner Geschichte zuvor schon erlebte: Die Generäle wollen die starke 
linke Opposition physisch vernichten. Hunderttausende protestieren in 
den Jahren zuvor auf den Straßen des achtgrößten Staates der Erde. Sie 
streiten für niedrigere Essenspreise, kämpfen für bessere Bildung und 
streiken für höhere Löhne. Die radikalen Flügel der Bewegung 
organisieren sich in revolutionären Organisationen. Die Bewegung griff 
von den Studierenden auf die Arbeiter über - das Land schien für die 
Herrschenden »unregierbar«.
 Die Machteliten wollen »Ruhe im 
Land« und fordern die »Wiederherstellung der alten Ordnung« - egal wie. 
General Luciano Benjamín Menéndez droht unmittelbar vor dem Putsch: »Wir
 werden 50.000 Menschen töten müssen: 25.000 Subversive, 20.000 
Sympathisanten, und wir werden 5000 Fehler machen«. In den nächsten 
sieben Jahren folgen den harschen Worten schreckliche Taten. 
Zehntausende werden ohne Haftbefehl verschleppt, jahrelang ohne Prozess 
festgehalten, gefoltert und ermordet. Die perfideste Methode der 
Sicherheitskräfte ist das »Verschwinden lassen«: Linke, Gewerkschafter, 
Künstler, Studierende werden auf offener Straße oder aus ihren Häusern 
entführt und ermordet. Dann werden sie an geheimen Orten in 
Massengräbern verscharrt oder von Flugzeugen aus in den Rio de la Plata 
geworfen. Laut offiziellen Angaben erlitten fast 9000 Menschen dieses 
Schicksal. Menschenrechtsorganisationen schätzen die Zahl der 
»Verschwundenen« auf 30.000.
 Aber es finden nicht nur 
Massenmorde statt. Die Militärregierung und die Unternehmer organisieren
 den größten Sozialabbau der argentinischen Geschichte. Die Militärjunta
 formuliert in ihrem Wirtschaftsprogramm jene Vorstellungen, die später 
unter dem Begriff »Neoliberalismus« weltweit zur Wirtschaftsdoktrin 
werden. Gerade erkämpfte Lohnerhöhungen werden wieder beseitigt, 
öffentliche Betriebe privatisiert und Hunderttausende entlassen. 
Gleichzeitig rüsten die Generäle die Armee auf und drohen Chile mit 
einem Krieg um ein paar kleine Inseln im Beagle-Kanal. Trotz allem 
findet 1978 die Fußballweltmeisterschaft in Argentinien statt. In seiner
 Eröffnungsansprache erklärt General Videla: »Willkommen in diesem Land 
des Friedens, der Freiheit und der Gerechtigkeit!« 
 Im selben 
Jahr veröffentlicht der junge Muisker León Gieco seine Platte »IV«. Das 
erste Lied auf der LP spricht aus, was viele in Argentinien denken. 
»Solo le pido a Dios» ist eine Anklage gegen die Brutalität der 
Putschisten und eindringlicher Aufruf sich nicht einschüchtern zu 
lassen.
Sólo le pido a Dios / que el dolor no me sea indiferente, / que la reseca muerte no me encuentre / vacío y solo sin haber hecho lo suficiente.
(Nur das Eine erbitte ich von Gott / dass das 
Leiden mich nicht gleichgültig lässt, / dass der bleiche Tod mich nicht 
findet, / leer und einsam bevor ich nicht genügend tun konnte.) 
Sólo
 le pido a Dios / que lo injusto no me sea indiferente, / que no me 
abofeteen la otra mejilla / después que una garra me arañó esta suerte. 
 (Nur das Eine erbitte ich von Gott / dass die 
Ungerechtigkeit mich nicht gleichgültig lässt, / dass sie mich nicht auf
 die andere Wange schlagen, / nachdem ihre Klauen mich zum Glück nur 
gekratzt haben.)
  
 Sólo le pido a Dios / que la guerra no me
 sea indiferente, / es un monstruo grande y pisa fuerte / toda la pobre 
inocencia de la gente. 
 (Nur das Eine erbitte ich von Gott / 
dass der Krieg mich nicht gleichgültig lässt, / dieses Furcht erregende 
Monstrum, / das die Unschuldigen gnadenlos zertrampelt.)
  
Sólo
 le pido a Dios / que el engaño no me sea indiferente / si un traidor 
puede más que unos cuantos, / que esos cuantos no lo olviden fácilmente.
 (Nur das Eine erbitte ich von Gott / 
dass der Betrug mich nicht gleichgültig lässt, / falls ein treuloser 
Verräter an der gerechten Sache mehr erreicht als die Wenigen, / und 
dass diese Wenigen nicht so leicht vergessen.) 
 Sólo le pido
 a Dios / que el futuro no me sea indiferente, / desahuciado está el que
 tiene que marchar / a vivir una cultura diferente.
(Nur das Eine erbitte ich von Gott / dass die Zukunft mich nicht gleichgültig lässt, / und dass ich auch die nicht aufgebe, dass ich auch an die denke, / die sich aufgemacht haben, weil sie anders leben wollen.)
Als León Gieco den Song in seinem Exil in Los Angeles 1978 
komponiert, ist Mercedes Sosa bereits eine Berühmtheit - nicht nur in 
Argentinien. Sie selbst schreibt keine Lieder. Sie macht keinen Hehl 
daraus, dass sie ein unbändiges Vergnügen am Singen hat. Die richtigen 
Songs dafür findet sie bei den unterschiedlichsten Liedermachern in ganz
 Lateinamerika. So auch bei León Gieco und seinem »Sólo le pido a Dios«.
 Die Junta versucht, auch Sosa zum Schweigen zu bringen. 1979 wird sie 
bei einem Konzert mitsamt ihrem Publikum verhaftet. Aus Angst vor den 
Reaktionen der Öffentlichkeit im In- und Ausland wird sie nach einigen 
Stunden mit der Auflage freigelassen, das Land zu verlassen. 
 
Die Junta fürchtet die politische Folklore, weil es die Musik der Armen 
ist. Entstanden war die sogenannte Bewegung des »Neuen 
Lateinamerikanischen Liedes« in der Zeit, in der die kubanische 
Revolution die Jugend und die Intellektuellen auf dem ganzen Kontinent 
aufrüttelte. Abertausende strömten in den folgenden Jahren in die 
Konzerte der neuen Liedermacher, vor allem von Mercedes Sosa. Viele 
Songs lateinamerikanischer Liedermacher wurden erst populär, weil 
Mercedes Sosa sie sang. Die Menschen nannten sie wegen ihrer schwarzen 
Haare »La Negra«. Sie spielte für die Tagelöhner im Hafen von Buenos 
Aires, für die Männer und Frauen in den Fabriken und Schlachthöfen, für 
die Menschen in den Arbeitervierteln. 
 Als sie 1982 erstmals 
wieder für ein Konzert nach Argentinien zurückkehrt, ist die Diktatur 
angeschlagen. Argentinien erlebte die bis dahin größte Wirtschaftskrise 
seiner Geschichte. Die Menschen verlieren langsam die Angst vor dem 
Terrorapparat, immer häufiger gibt es Demonstrationen und Streiks. 
Tausende singen mit ihr »Sólo le pido a Dios«. 
 Als Mercedes 
Sosa zwei Jahre später, im Dezember 1984, erneut im Stadion Vélez in 
Buenos Aires auftritt, kann sie das Lied gemeinsam mit León Gieco 
anstimmen. Die Menschen feiern, denn die Diktatur ist Geschichte.
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