Es ist seit März klar, dass die Homphoben regelmäßig jeden ersten Samstag im Monat nach Stuttgart kommen werden um gegen den Bildungsplan 2015 in BaWü zu hetzen. Wir einen Reader geschrieben, der über Heterosexismus aufklärt und ebenfalls gegen die Homphoben mobilisieren soll.
Alles Nazis oder was?
Wir sind gegen die Proteste gegen den Bildungsplan. Doch warum?
Einige bisherige Berichte (Artikel bei linksunten) versteiften sich auf 
das Thema Neonazis bei den Demonstrierenden gegen den Bildungsplan. Hier
 halten wir eine differenziertere Betrachtung für notwendig. Neonazis 
finden zwar klare Anknüpfungspunkte, sind aber nicht die Initiator*innen
 und stellen auch nicht die Mehrheit der Teilnehmer*innen der Proteste. 
Die Teilnehmer*innen rekrutieren sich vielmehr aus dem gesamten 
konservativen und reaktionären Spektrum: Christliche Fundis, PI-News1,
 Konservative Aktion, AfD, etc. Auch die Russisch-Orthodoxe Gemeinde 
scheint eine relevante Rolle einzunehmen. Unseres Erachtens ist 
Heterosexismus und Homophobie ein zentraler Antrieb für die Proteste der
 Bildungsplan-Gegner*innen, auch wenn sie selbst es leugnen und “nur um 
das Wohl ihrer Kinder besorgt sind”.
Hier besteht immer die Gefahr: Wenn unsere Kritik zu sehr auf einzelne 
Akteur*innen abzielt, gibt man den restlichen Demonstrierenden den Raum,
 sich von diesen Akteur*innen inhaltlich zu distanzieren und ihre 
“besorgte Eltern”-Scharade weiter zu spielen.
Um an dieser Stelle entgegenzuwirken werden wir uns im Folgenden grundlegend mit den gesellschaftlichen Mechanismen, die hinter den Bildungsplangegner*innen stehen, auseinandersetzen.
Dazu wollen wir gerne etwas weiter ausholen und die ständig stattfindende unterbewusste Kategorisierung der menschlichen Wahrnehmung in Zusammenhang mit gesellschaftlichen Diskriminierungsformen setzen. Wir erklären die Schlagworte Heteronormativität und Heterosexismus. Erst darauf aufbauend wollen wir die Diskriminierung durch die Bildungsplangegner*innen aufgreifen.
Sind wir neutral?
Wir Menschen aus dem westlichen Europa halten uns gerne für aufgeklärt und objektiv. Was auch immer wir in unserem Alltag tun, wenn wir durch die Straßen laufen und andere Menschen wahrnehmen, beim Fernsehen, im Kino… – überall wo wir andere Menschen erblicken oder mit ihnen in Kontakt treten, nehmen wir von uns an, dass wir in einer relativen Unvoreingenommenheit anderen Menschen gegenüber leben. Sicher, mal gefällt uns eine Frisur nicht oder wir mögen bestimmte Personen nicht besonders. Aber ansonsten sind wir neutral. Oder nicht?
Sozialisation und unterbewusste Kategorisierung
Dabei ist uns meist gar nicht bewusst, dass unser Gehirn ununterbrochen Menschen in Kategorien einteilt:
jugendlich, weiblich, von hier (vermutlich deutsch), dünn, trendy, 
attraktiv, oder: männlich, dick, mittleren Alters, südländisch, bieder, 
unattraktiv, vermutlich arm.
Ob im Sinne einer Beschränkung auf das Wesentliche oder aus Zeitmangel 
angewendet ermöglichen uns Kategorien und Klischees als vereinfachte und
 verallgemeinerte Vorstellungen über Menschen zunächst einmal 
Orientierung, Sicherheit und dienen einer schnellen Kommunikation. 
Nun wäre theoretisch einer unbewussten Kategorisierung anderer Menschen 
in unserer Umgebung nichts vorzuwerfen, wäre sie neutral und bei Bedarf 
flexibel.
Ist sie aber nicht.  
Wir nehmen zwar eine eigene Neutralität an, in Wirklichkeit aber wachsen
 wir in einer von Ungleichheit bestimmten Gesellschaft auf und 
verinnerlichen Rollen und Diskriminierungsformen. Was ist normal, was 
ist anders, wer/was sind “wir”, wer/was sind “die anderen”. Dieses 
Wissen ist ein gesellschaftlicher Code, den viele Menschen seit ihrer 
frühesten Jugend verinnerlichen und weitergeben. In der Familie, in 
Freundschaften und Beziehungen, über Medien, Politik, Wissenschaften, 
Bildung und so weiter. 
Sozialisation bezeichnet die Verinnerlichung solcher gesellschaftlicher 
Normen. Über Sozialisation lernen wir in Kategorien zu denken, die in 
dem jeweiligen Zusammenhang und der (Entstehungs-)Geschichte unserer 
gesellschaftlichen Umgebung entstanden sind. Miteinbezogen werden dabei 
unterschiedliche Kategorien, die den Status und die Anerkennung von 
Menschen in einer Gesellschaft bestimmen, zum Beispiel: Geschlecht, 
Hautfarbe, Kultur, soziale Schicht, Background, 
Behinderung/Nicht-Behinderung, Alter,…Diese Kategorien sind von Menschen
 gemacht und haben reale Auswirkungen auf die betroffenen Personen. 
Der heutige (westeuropäische) gesellschaftliche Ist-Zustand privilegiert
 Träger*innen bestimmter Eigenschaften (z.B.: männlich, heterosexuell, 
weiß, deutsch, gut gekleidet, nicht arm). Alle Menschen, die innerhalb 
dieser Gesellschaft sozialisiert wurden (und damit diese “Privilegien” 
als positiv und normal verinnerlicht haben), streben nach diesen 
Eigenschaften. Wenn Menschen diesen gesellschaftlichen “Idealzustand” 
nicht erfüllen (können oder wollen), werden sie als “anders” 
kategorisiert. “Anders” meint nicht nur abweichend vom 
gesellschaftlichen Ist-Zustand, sondern wird gleichzeitig auch negativ 
bewertet.
Gesellschaftlicher Ausgangspunkt
Wir leben in einer Gesellschaft, in der als „anders“ wahrgenommene 
Menschen – Menschen die nicht den Wertvorstellungen der dominierenden 
Mehrheitsgesellschaft entsprechen – Ausgrenzung, Nicht-Anerkennung, und 
unterschiedliche Formen der Gewalt erfahren.
Unterdrückungsmechanismen wie beispielsweise gesellschaftliche 
Ausgrenzung und Diskriminierung gehen mit den bestehenden Hierarchien 
einher, die das Bild unserer Gesellschaft prägen. Sie führen zu 
Ungleichheit, untermauern bereits bestehende Diskriminierung und 
erneuern sich ständig selbst. Dieses ständige Erneuern passiert nicht 
von allein, sondern wird von Menschen bewusst oder unbewusst 
durchgeführt. Anstatt bestehende Ungleichheit und Hierarchien in Frage 
zu stellen, grenzt man sich gegen andere Menschen ab und diese aus. 
Besondere Benachteiligung, Gewalt und Herabwürdigung erfahren Menschen, 
die aufgrund von Äußerlichkeiten und anderen Merkmalen, ihrer Kultur, 
(angenommenen) Herkunft, sexueller Orientierung, Behinderungserfahrung, 
Alter und/oder Geschlecht diskriminiert werden.
Diskriminierung
Ein wesentlicher Bestandteil von Diskriminierung ist die 
Zusammenfassung und Kategorisierung von Menschen zu Gruppen und der 
damit verbundenen Unterstellung bestimmter Eigenschaften. Die weit 
verbreitete Einstellung und Akzeptanz von Vorurteilen, die Menschen 
betrifft, diese in ihrem Handeln einschränkt und somit reale 
Auswirkungen auf deren Alltag hat, wird Diskriminierung genannt. 2
Es gibt viele verschiedene Formen der Diskriminierung, die sich 
gegenseitig überschneiden und bedingen. Gemeinsam haben sie, dass die 
betroffenen Menschen aufgrund von bestimmten Merkmalen oder ihrer 
Gruppenzugehörigkeit benachteiligt oder ausgegrenzt werden. 
Die als „anders“ wahrgenommene Menschen, jene, die nicht in die 
allgemein gesellschaftlich anerkannten Wertvorstellungen passen, sind 
täglich mit Diskriminierung konfrontiert. Gewalttätig ist 
Diskriminierung immer und kann tiefgreifende Auswirkungen auf die 
körperliche, seelische und geistige Unversehrtheit und die 
Entfaltungsmöglichkeiten der betroffenen Menschen haben. 
Wir sehen daher drei Ebenen, auf denen sich die Gewalt durch Diskriminierung manifestiert.
- Auf individueller Ebene: Hier wird Diskriminierung beispielsweise durch verbale Gewalt in Form von Vorurteilen, Witzen und Bemerkungen ausgedrückt, oder durch direkte körperliche Gewalt.
- Auf gesellschaftlicher Ebene: etwa in Form von Ausgrenzung und einem allgemein anerkannten Wissen darüber, was natürlich und was unnatürlich ist, wer zu dem “wir” und wer zu “den anderen” gehört; ebenso durch psychische Gewalt wie Nicht-Anerkennung einer Identität und (Be-)hinderung einer persönlichen, individuellen Entfaltung.
- Auf struktureller und institutioneller Ebene: Die Diskriminierten erfahren keine gleichberechtigte Beteiligung/ Mitgestaltung/ Mitwirkung/ Mitbestimmung an gesellschaftlichen Ressourcen, in sozialen, politischen, materiellen, kulturellen Bereichen.
Heteronormativität und Heterosexismus als Diskriminierungsform
Als Heteronormativität wird ein Geschlechtersystem bezeichnet, bei 
dem nur zwei Geschlechter, nämlich Mann und Frau, gesellschaftlich zur 
Norm erhoben werden. 
Dabei wird das jeweilige Geschlecht (Mann oder Frau) sowohl mit den 
gesellschaftlich Rollenvorstellungen von Männern und Frauen verbunden, 
als auch mit der heterosexuellen Orientierung. Das heißt, dass es 
bestimmte gesellschaftlich anerkannte Vorstellungen darüber gibt, welche
 Rollen jeweils Männern und Frauen entsprechen, welche (eher) nicht, und
 dass die einzige natürliche Beziehungsform eine heterosexuelle 
Zweierbeziehung zwischen Mann und Frau ist.
Heteronormativität bestimmt somit, was als „normale“ Sexualität gilt und ist gleichzeitig mit den von vielen Menschen verinnerlichten Normen und Vorstellungen bezüglich Körper, Geschlecht, Charakterzuschreibungen, Familie, … verknüpft. Die daraus entstehende Diskriminierungsform wird als Heterosexismus bezeichnet. Sie lässt keine weiteren Sexualitäten und Geschlechter zu.
“Ich hab ja nichts gegen Schwule, aber…”
Wie bereits in der Einleitung erwähnt werfen wir den Bildungsplangegner*innen heterosexistische und homophobe Diskriminierung vor. Unseres Erachtens ist Heterosexismus und Homophobie ein zentraler Antrieb für die Proteste der Bildungsplan-Gegner*innen, auch wenn sie selbst es leugnen und sich als “besorgte Eltern” darstellen.
Die heteronormative Form des Zusammenlebens (Vater, Mutter, Kinder) findet selbstverständlich und selbstbewusst im öffentlichen Raum statt. Andere Konzepte des Zusammenlebens hingegen haben sich im Privaten abzuspielen – und dort auch zu bleiben. Dieses Messen mit zweierlei Maß zeigt sehr deutlich die diskriminierende Haltung der Bildungsplangegner*innen. Das Verschweigen und die Nicht-Anerkennung bestimmter Identitäten ist auch in anderen Bereichen (z.B. Rassismus) ein machtvolles Ausgrenzungs- und Unterdrückungsinstrument.
Die Angst zu schüren, durch die bloße Erwähnung alternativer 
Sexualitäten und Geschlechterrollen seien Kinder und Familie bedroht, 
gründet auf Vorurteilen und falschen Unterstellungen, sie ist 
heterosexistisch und homophob.
Dieser Verbreitung diffuser Ängste und Unterstellungen wollen wir uns 
entgegenstellen und für gegenseitige Wertschätzung und eine 
selbstbestimmte Sexualität eintreten.
Wir haben uns dagegen entschieden der Argumentation der Bildungsplangegner*innen weiteren Raum in unserem Text zu geben.
Unsere Kritik
Wir kritisieren die Vorstellung einer natürlich gegebenen Heterosexualität von Mann und Frau und die damit verbundene Heteronormativität in der Gesellschaft.
Wir gehen davon aus, dass Vorstellungen von Geschlecht und Sexualität
 immer in einen gesellschaftlichen Kontext eingebunden sind und aus 
diesem entstehen. 
Dabei werden diese Annahmen durch Medien, Literatur, Musik, … und durch 
Institutionen wie die Kirche, Schule, (Teile der) Wissenschaft,… als 
angebliche Wahrheit untermauert.
Diese konstruierte Annahme heterosexueller Mann/ heterosexuelle Frau als einzig gültige Lebensweise empfinden wir als unmenschlich und diskrimierend, da sie aus unserer Sicht nicht der menschlichen Vielfalt gerecht wird.
Bildungsplan
Wir sind uns natürlich der Ironie der seltsamen Ausgangslage bewusst: Wir unterstützen und verteidigen eine Initiative der Landesregierung. Klar ist, dass wir nicht grundsätzlich gut finden, was die Regierung treibt und dass wir den Bildungsplan nur partiell unterstützenswert finden.
Uns ist es jedoch wichtig ein klares Zeichen gegen die reaktionären Kräfte zu setzen, die sich da zusammentummeln, um gegen den Bildungsplan vorzugehen.
Unsere Ansprüche an ein Bildungssystem sind sicherlich andere als die des Staates. 
Aber auch das jetzige Bildungssystem sollte neben vielem weiterem den 
Menschen die nötigen Koordinaten mitgeben an denen sie sich orientieren 
können und auch Kritik- und Toleranzfähigkeiten vermitteln. Darüber 
hinaus ist es wichtig, dass jungen Heranwachsenden Wissen und Mittel an 
die Hand gegeben werden, die sie zur eigenbestimmten unvoreingenommen 
Selbsterkenntnis eigener Sexualität befähigen. An dieser Stelle begrüßen
 wir den Ansatz in den Arbeitsversionen des neuen Bildungsplans über 
alternative Formen bezüglich Sexualität und Geschlecht aufzuklären.
Das Schweigen über oder gar Tabuisieren von bestimmten Formen der 
Sexualität oder Lebensentwürfen steht einer gesunden selbstbestimmten 
Entwicklung junger Menschen und ihrer Sexualität entgegen.
Aufklärungsarbeit an Schulen ist also keine "Propaganda”, sondern dient dem ureigenen Interesse aller Kinder.
Was wir wollen
Wir lehnen Hierarchien und die damit einhergehenden 
Unterdrückungsmechanismen und Diskriminierungen ab. Um diese abschaffen 
zu können, müssen wir diese erkennen und reflektieren. 
Wir wollen Hierarchien bekämpfen, die die Menschen in einer Gesellschaft
 nach Macht und Nicht-Macht, in höhere und nieder Statusgruppen 
einteilen.
Hierzu ist es nötig, aktiv zu werden. Dazu gehört auch das Hinterfragen der eigenen Rollen, genaues Hinhören, aufmerksam machen, sich in den Weg stellen, Schreiben, es gibt ganz viele Möglichkeiten… jede*r kann etwas tun!
Ziel ist es, zu einem anderen Umgang der Menschen untereinander zu kommen – jenseits von Diskriminierung, Unterdrückungsmechanismen und Machtstrukturen.
Wenn wir eine Gesellschaft anstreben, in der Vielfalt das gesellschaftliche Bild prägt und unterschiedliche Lebensentwürfe gleichberechtigt nebeneinander stehen können, hat in dieser Form des Pluralismus Diskriminierung keine Berechtigung. Da Diskriminierung immer gewalttätig ist – auf die ein oder andere Weise – darf ihr kein Raum gelassen werden um sich auszubreiten.
Deshalb stellen wir uns dieser Diskriminierung entschlossen und kreativ entgegen. Auf der Straße, in unserem Alltag und in den Köpfen.
Für die freie Vereinigung freier Individuen.
Fussnoten:
1 Politically Incorrect-News: rechtes, reaktionäres Internetportal
2 Auch auf anderen Wegen wie beispielsweise institutionelle Gewalt kann Diskriminierung entstehen
Dieser Text wird unterstützt von folgenden Gruppen:
- Libertäres Bündnis Ludwigsburg (LB)²
- Antifaschistische Aktion Kreis Ludwigsburg - AAKL
- Ganz Anders (Heilbronn)
- Demokratisches Zentrum Ludwigsburg - DemoZ
- Antifa Reutlingen Tübingen - ART
- Zusammen Kämpfen (Stgt.) - ZK
- Anarchistisches Netzwerk Südwest*





