Zeugenaussage auf Grund doppelten Hörensagens Grundlage für Verurteilung wegen Mordes ?
Im §129-Prozeß gegen Faruk Ereren nähert sich die Beweisaufnahme ihrem Ende, ohne daß irgendwelche Beweise vorliegen für die Anklage, Faruk habe 1993 von Deutschland aus telefonisch die Anweisung zur Ermordung zweier Polizisten erteilt. Wie schon im ersten Prozeß spitzt sich alles auf die Aussage des Kronzeugen Genc zu. Dieser hatte im ersten Verfahren ausgesagt, er sei Zeuge der behaupteten Telefonanweisung gewesen. Der Staatsicherheitssenat hatte seine Verurteilung Faruks zu lebenslänglicher Haft hauptsächlich auf diese Aussage gestützt.
 Seit Wochen bemühen sich nun Gericht 
und Bundesanwaltschaft über „Verbindungsleute“ des BKA und die deutsche 
Botschaft die türkischen Behörden dazu zu bewegen eine erneute 
Videobefragung von Genc zu ermöglichen. Bislang ohne jeden Erfolg.
 
 Ehedem kam es eher zufällig zur Befragung von Genc in der Türkei. 
Richter waren zusammen mit Faruks Anwälten in die Türkei zur Befragung 
eines ganz anderen Zeugen gereist. Unerwartet und für Richter und 
Anwälte gänzlich unvorbereitet präsentierten die türkischen Behörden 
ihnen dann Genc als Zeugen. Nach einem Tag Vorbereitung kam es dann zu 
seiner Befragung. Bei selbiger kam die Verteidigung nicht dazu, selber 
ausreichend Fragen zu stellen, weil es 16 Uhr wurde und die türkischen 
Behörden Feierabend hatten.
 Trotz solch grober Beschneidung der Rechte der Verteidigung wurde Faruk verurteilt.
 
 Bei Genc handelt es sich um ein langjähriges Mitglied von Dev-Sol, 
einen militanten Kämpfer, welcher zum Verräter wurde, zu einem 
sogenannten „Geständigen“. Zeugen haben im Prozeß ausgesagt, daß Genc 
von der Polizei gefoltert wurde. Insofern sollte eigentlich klar sein, 
daß jedweder Aussage von ihm nicht geglaubt werden kann. „Geständige“ 
kommen in der Türkei ins Zeugenschutzprogramm und von ihnen wird 
verlangt, aktiv gegen ehemalige Genossen auszusagen. Dazu gehören, wie 
man aus vielen entsprechenden Beispielen weiß, insbesondere 
Falschaussagen. Jeder weiß, daß Gefolterte bereit sind, wirklich Alles 
zu unterschreiben und auszusagen. Sie werden zu einem beliebig 
einsetzbaren Werkzeug der Polizei. Bei Nichtkooperation droht ihnen 
nicht nur weitere Folter sondern wahlweise auch die Aufhebung des 
Zeugenschutzes.
 Trotz aller Bereitschaft des „geständigen“ Genc 
traut sich die Türkei nicht, ihn dem Kreuzverhör der Verteidigung 
auszusetzen, weil die Gefahr besteht, daß er sich in Widersprüche 
verwickelt. Zur Neuverhandlung der Sache kam es, weil der 
Bundesgerichtshof das erste Urteil wegen Widersprüchen und 
Ungereimtheiten aufhob.
 
 In Ermangelung des Kronzeugen Genc nahm
 das Gericht am letzten Freitag dann Zuflucht zu einer Art indirekten 
Zeugenbefragung. Man befragte einen der ehedem in die Türkei gereisten 
Richter und einen der Anwälte Faruks betreffs ihrer damaligen Befragung 
von Genc. Dabei traten ganz erstaunliche Umstände zutage:
1. Es gibt kein genaues Protokoll der Befragung, sondern nur Zusammenfassungen des anwesenden türkischen Richters.
 
 2. Genc war keinesfalls Zeuge der angeblichen telefonischen 
Mordanweisung Faruks. Er befand sich damals zusammen mit einem anderen 
Genossen auf der Flucht in einer konspirativen Wohnung. Anwesend war 
auch G., der als einziger die Wohnung verlassen konnte da er nicht 
gesucht wurde. G. selber konnte vom Gericht nicht befragt werden, weil 
er eine Befragung abgelehnt hatte mit der Erklärung, er werde sich 
allein gegenüber dem türkischen Volk verantworten, nicht aber gegenüber 
einem deutschen Gericht. 
 Genc sagte nun aus, G. sei nach draußen 
zum Telefonieren gegangen und habe ihnen danach berichtet, er habe mit 
Faruk telefoniert und von seiner Anweisung zum Angriff auf die 
Polizisten erfahren. 
 
 3. Es gehört zu den Grundregeln der 
Konspiration, daß man unbeteiligten Dritten gegenüber vom Inhalt solcher
 Telefonate nichts erzählt. Auf entsprechende Vorhaltungen hatte Genc 
erklärt, G. sei völlig aufgelöst gewesen wegen der in dem Telefonat 
übermittelten Nachricht, daß bei dem Angriff 3 Genossen erschossen 
wurden und habe seelischen Beistand bei den beiden Genossen in der 
Wohnung gesucht und darum diese Regel missachtet. Doch dies bedeutet 
gleichzeitig, daß G. im Nachhinein von diesem Angriff erfuhr und es gar 
nicht um eine telefonische Anweisung zu einem Anschlag ging.
4. Angeblich hatte Genc bei der 
Befragung ein Foto von sich und Faruk im Gefängnis dabei. Damit wollte 
er belegen, daß sie beide sich gut kannten. Jetzt stellte sich heraus, 
daß während der Befragung ein türkischer Polizist Genc das Foto 
zugesteckt hatte.
 
 5. Zur Frage seiner Folter und der damit 
verbundenen Unglaubwürdigkeit seiner Aussage hatte Genc erklärt, er habe
 von Folter nur reden müssen, um seine Aussagen bei der Polizei der 
Organisation gegenüber zu rechtfertigen. Er sei in Wirklichkeit gar 
nicht gefoltert worden und habe freiwillig gegenüber der Polizei 
ausgesagt. Natürlich ist auch diese Aussage unglaubwürdig, denn nichts 
liegt näher als daß die Foltermeister ihr Opfer zu einer genau solchen 
Erklärung gezwungen haben.
Am Ende des Verhandlungstages sieht
 sich das Gericht vor einem Scherbenhaufen. Will es die Aussage des 
Kronzeugen Genc verwerten mittels der gerade erfolgten indirekten 
Befragung, würde es sich um eine Aussage auf Grund doppelten Hörensagens
 handeln.
 Genc kann nicht direkt von den Verfahrensbeteiligten 
befragt werden, sondern nur von Zeugen, die gehört haben, daß Genc etwas
 gesagt hat und Genc sagt aus, er habe von G. gehört, daß Faruk etwas am
 Telefon gesagt habe.
 
 Ein abenteuerliches Konstrukt, das 
grundlegendsten Normen des Strafrechts hohnlacht. Das ist dem Gericht 
durchaus bewusst, von der Möglichkeit „indirekter Beweise“ ist die Rede.
 Es hob den nächsten Verhandlungstermin auf, damit die Kammer Zeit hat, 
die entstandene Lage intensiv zu beraten. Wenn es Faruk auf Grund von 
Zeugenaussagen vom doppelten Hörensagen wegen Mordes verurteilen will, 
ist eine dritte Verhandlung nach erfolgter Revision sogut wie sicher.
 
 Die Bundesanwaltschaft plagen solche Bedenken nicht. In einem 
sogenannten „Zwischenbericht nach §257“ erklärt sie nassforsch, die 
Schuld Faruks sei durch vielfältige Zeugenaussagen zweifelsfrei bewiesen
 und selbstverständlich könne Gencs Aussage auch ohne seine persönliche 
Befragung verwertet werden. Er sei offensichtlich glaubwürdig, Faruk sei
 in der Leitung der Dev-Sol gewesen und habe die telefonische 
Mordanweisung von Deutschland aus erteilt. Alle vom Bundesgerichtshof 
angemahnten Widersprüche seinen geklärt worden und man fordere nun ein 
beschleunigtes Ende der Beweisaufnahme.
 
 Demgegenüber wies die 
Verteidigung auf die rekordverdächtitge Länge von Faruks 
Untersuchungshaft hin. Ohne eine persönliche Befragung von Genc sei die 
Verwertung seiner ehemaligen Aussagen nicht möglich und Faruks 
Verurteilung ausgeschlossen. 
http://www.linkezeitung.de/index.php?option=com_content&view=article&id=17749:die-bundesrepublik-deutschland-gegen-faruk-ereren--prozessbericht-vom-3112014&catid=20&Itemid=59

